Der Gluecksmacher
Blick.
Die Chefin schlug die Augen nieder.
»Etwas anderes«, sagte sie nach einer Weile, während der sie ein anregendes, doch letztlich unbrauchbares Gefühl zur Seite bugsiert hatte. »Ich bin gerade dabei«, sie drehte an ihrem Ehering, »das Budget noch einmal zu überarbeiten. Denkst du, wir können irgendwo noch Einsparungen rausholen? Geht deiner Meinung nach zum Beispiel noch was beim Personal? Oder riskieren wir damit einen Leistungsverlust?«
»Wenn wir nicht Einzelne benachteiligen, sondern alle, fällt das gar nicht auf.« Er hielt inne, wartete auf ihre Reaktion, doch Großburg war der Scherz verborgen geblieben. »Wenn wir niemandem das Gefühl geben, benachteiligt zu sein«, formulierte er neu, »sondern alle auf gleich viel verzichten müssen, ist sicher noch was drin. Ich werde einen entsprechenden Text vorbereiten. So in etwa ›Wir als Familie müssen in dieser herausfordernden Zeit zusammenstehen, jeder hat seinen solidarischen Beitrag zu leisten, damit wir gemeinsam zum Erfolg‹ und so weiter und so fort. Keine Sorge«, ergänzte Torberg, denn er meinte, Irene Großburg sei noch nicht gänzlich überzeugt, »keine Sorge, ich kriege das schon hin.«
»Gut. Sehr gut.«
Sie schlug ein Bein über das andere.
Torberg rollte indes die Zeitung zusammen, klatschte damit auf den Tisch. »Ach ja, und den Dimsch solltest du endlich rausschmeißen. Der bringt uns rein gar nichts mehr. Außerdem hat er schlechten Einfluss auf die anderen, er wirkt völlig gleichgültig. Wenn du möchtest, kann ich die Aufgabenseiner Abteilung ohne weiteres mit meinem Team erledigen.«
Großburg schnalzte mit der Zunge. »Grundsätzlich bin ich ganz bei dir, Rainer. Mir geht der Dimsch auch gehörig auf den Geist, und es ist mir ein Rätsel, was er den ganzen Tag treibt, da unten in seinem Büro. Aber weißt du, ich will lieber noch die kommende Aufsichtsratssitzung abwarten.«
»Du glaubst doch nicht an das Geschwätz, dass er einen geheimen Auftrag von deinem Vater hat?«
»Nein.« Rasch sah sie aus dem Fenster, straffte den Stoff ihres Business-Kostüms. »Nein, natürlich nicht. Aber sicher ist sicher. Und gleich nach dem Aufsichtsrat, sobald ich Klarheit habe, fliegt er ohnehin.«
Im selben Gebäude, nur zwei Stockwerke tiefer, war jener Mitarbeiter, dem eben Unproduktivität und mangelnde Motivation unterstellt worden war, flink und emsig bei der Sache wie kein zweiter in der Versicherung. Mit Feuereifer arbeitete er an neuen Erkenntnissen, war bereit, bis zur Selbstaufgabe zu gehen bei der Suche nach dem Glück. Während der PR- und Marketingleiter sowie die Chefin der Versicherung einander zum wiederholten Male versicherten, wie entbehrlich und nervend sie Dimsch empfanden, las der einen Satz Epikurs:
Wer die innere Ruhe besitzt, fällt weder sich noch anderen zur Last.
Schön, dachte Dimsch, und wie einfach. Zu erlangen sei die innere Ruhe, las er das Kleingedruckte, wenn zweierlei bezwungen würde: die Angst und die Begierde. Gelinge dem menschlichen Verstand deren Zähmung, gäbe es nichts mehr, rein gar nichts im Leben, das unglücklich mache.
Dimsch zuckte zusammen. Was war das für ein Poltern gewesen?
Seit Monaten war da nicht so ein Poltern gewesen. Seit Monaten war da Ruhe gewesen, selige Ruhe.
War vielleicht nur Peng gestolpert? Mitsamt seinem Packen Post? Dimsch lauschte.
Ja, vielleicht war es nur Peng gewesen.
Da, noch einmal! Wie von einem schweren Gegenstand. Und diesmal war auch eine fremde Männerstimme zu hören gewesen und ein fürchterliches Rumoren.
Für Sekunden hielt Dimsch den Atem an. Sein Pulsschlag war merklich heftiger, der Muskeltonus erhöht, ebenso die Spannung seiner Haut, sämtliche akut wichtigen Systeme in Alarmposition.
Was ging da vor? Phantasien stoben durch Dimschs Kopf, zeichneten Bilder von einem jähen Ende seines als Büro getarnten Paradieses, seines Horts der Ruhe, seines Treffpunkts mit all den Philosophen vergangener Zeiten, diesen Glücksrittern, denen er sich zunehmend – und ohne einen Anflug von Verrücktheit oder Größenwahn zu verspüren – geistesverwandt fühlte. Könnten sie sich nicht zwischen ihren Buchdeckeln verstecken, ginge es ihnen nun gewiss wie ihm, allesamt waren sie doch empfindsame Gemüter, sensibel besonders, was unheilige Gesellschaft anging, polternde, verständnislose Entweiher des Heiligen Grals. Dimsch versuchte sich zu beruhigen, atmete tief und langsam ein, langsam und gänzlich aus, besann sich eines Satzes von Kollege
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