Der Gluecksmacher
und flog davon.
Das Leben ist ein Missverständnis, dachte Eva Fischer. Und je mehr man nachdenkt, desto größer wird es. Echt bin ich eigentlich nur in den gedankenverlorenen Augenblicken. Auch zwischen den Menschen ist es so. Kurz legte Eva den Kopf in den Nacken. Verliebt hatte sie sich in Dimsch, als sie ihn flüchtig vor ihrem Büro getroffen hatte, und noch mehr, als sie sein albernes Türschild betrachtet hatte:
agazin B
. Ab dem ersten Satz aber, den sie miteinander gewechselt hatten, ja ab dem ersten Wort hatte auch schon die Entfremdung eingesetzt. Und das wunderbare Prickeln hatte begonnen, sich zu verflüchtigen. Daher kommt das also: Liebe auf den ersten Blick. Auf den ersten, vorbei aber beim zweiten. Unser Glück dauert immer nur einen Moment, sofort danach zerstören wir es mit unseren Gedanken. Genial wäre eine Moment-Schutzmaschine. Sie lachte auf, überrascht über ihre Idee. Ja, sobald ein Moment des Glücks auftaucht, müsste man ihn beschützen vor unseren Gedanken.
Ein paar Meter weiter, von ihr getrennt lediglich durch den schmalen Gang und zwei Bürotüren, dachte Dimsch nicht das, was Eva Fischer gefürchtet hatte. Nicht etwa dachte er, dass sie zu viel geredet habe oder eine Angeberin sei, schon gar nicht eine arrogante Tussi. Das kam daher, dass er überhaupt nicht an sie dachte. Dimsch zerbrach sich stattdessen den Kopf über … Dimsch. Er überlegte, wie
er
gewirkt hatte, welchen Eindruck
er
hinterlassen hatte. Dieses Abwägen und Grübeln ließ nicht zu, näher auf sie einzugehen. Und schon gar nicht blieb Raum für ein unverfälschtes Gefühl. Alles wurde verschlungen von Gedanken, wie die Wirklichkeit denn sein könnte.
15
Wind trieb die leere Cola-Dose scheppernd vor Dimsch her wie eine Provokation. Es war eine Marotte von ihm, womöglich eine sich einstellende Form von Neurose, unordentliche Dinge nicht tatenlos unordentlich belassen zu können. Wenn schon die Dinge in seinem Kopf verworren waren, sollten zumindest die Dinge außerhalb seines Kopfes nicht durcheinandergeraten. Dimsch rang mit sich, ahnte, dass die Dose nur eine vom Schicksal eigens für ihn präparierte Versuchung sein konnte, eine Prüfung, ob er seiner Schwäche erliegen würde. Ob er es zuwege bringen würde, souverän an ihr vorbei in die Versicherung zu spazieren, oder nach ihr greifen müsse, um zwanghaft Ordnung zu machen vor der blanken Gebäudefassade. Die Dose tat eine Wendung, kurvte eigens vor ihm nach rechts, rollte gegen die Mauer, und das eingedrückte Mundstück grinste blechern und höhnisch und kalt. Vorbei würde er gehen, einfach vorbei, sagte sich Dimsch, griff dann mit einer raschen Bewegung nach der Dose, zerdrückte sie in der Hand, was ihr recht geschah, und da bremste neben ihm ein schwerer Wagen. Das dunkle Fenster des hinteren Fahrgastraums senkte sich surrend, und ein knöcherner Zeigefinger wies energisch in seine Richtung.
»Junger Mann! Bleiben Sie stehen!«, befahl eine krächzend laute Stimme.
Als der Schrecken nachließ, erkannte Dimsch Herrn Großburg.
»Weshalb haben Sie die Dose aufgehoben?« Die prüfenden Augen des Alten waren zu schmalen Schlitzen verengt, die Stirn lag in wilden Falten.
»Ich konnte nicht daran vorbeigehen«, antwortete Dimsch wahrheitsgemäß, und in dieser Sekunde wusste er, dass derGreis alles durchschaut hatte, dass er mit seiner Erfahrung und seiner Menschenkenntnis erfasst hatte, welch geisteskranken Mitarbeiter die Versicherung beschäftigte.
»Hervooooorragend!«, schrie da der Alte, »hervooooorragend, junger Mann! Genau solche Mitarbeiter braucht die Firma. Ordnungsliebend, verantwortungsbewusst und sich nicht zu schade, einfach zuzugreifen!« Er neigte den Kopf zur Seite. »Sie arbeiten doch bei uns, nicht wahr, junger Mann?«
»Ja, Herr Großburg.«
»Wie heißen Sie, junger Mann, sagen Sie schon, wie heißen Sie?« Er fuchtelte mit seinem Greisenfinger aus dem Wagenfenster.
»Dimsch, Herr Großburg. Sebastian Dimsch. Ich leite die Abteilung Meinungsforschung und Statistik.«
»Hervooooorragend! Dimsch!«, schrie Großburg. »Hervooooorragend! Machen Sie weiter so!«
»Ja. Ja, Herr Großburg.«
Der Alte nickte beinahe unmerklich, das getönte Fenster hob sich satt surrend, und die Limousine hatte bereits wieder beschleunigt.
Dimsch spazierte still lächelnd in die Eingangshalle, grüßte mit der Hand, in der er die Cola-Dose hielt, was bei beiden Empfangsdamen die Assoziation mit einem siegreichen Sportler auslöste, der
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