Der Gluecksmacher
Überlegungen wach lag, jonglierte er mit Möglichkeiten, ging Szenarien und Strategien durch. Er war ein Schachspieler, im realen wie im übertragenen Sinn. Aber er war nicht irgendein Schachspieler, bestand darauf, zur Elite gezählt zu werden, zu jenen Menschen, denen niemand dumme Fragen zu stellen wagte und bei denen keiner auf die Idee kam, sie könnten, versteckt unter ihrem erfolgsgestählten Charisma, verletzlich sein.
Glückliche Gewinner gibt es nicht, hatte seine Mutter oft gesagt und ihm dabei fest in die Augen gesehen. Wirklich gute Schachspieler, Profis, verdeutlichte sie ihrem Sohn, verlören bei einer harten, zehrenden Partie mehrere Kilogramm ihres Gewichts. »Denke stets daran, Rainer: Jener, der willens ist, mehr zu geben als der andere, wird siegreich sein.« Jedes Mal, wenn sie diesen Satz sprach, langsam und jedes Wort betonend, wusste Rainer Torberg, dass er noch nicht ausreichend hart an sich gearbeitet hatte, noch nicht gut genug war und dass seine Mutter, seine an den Rollstuhl gefesselte Mutter, ihm eine liebevolle Lektion erteilt hatte. »Matt«, sagte sie, nicht froh über ihren Sieg, sondern enttäuscht über seine Niederlage. »Schachmatt.«
»Wir müssen ihn in etwas verstricken, ihn einwickeln, damit er keinen Schaden anrichten kann.« Rainer Torberg sah zu Irene Großburg, lehnte sich lässig im Sessel zurück und schlug ein Bein über das andere. »Beginne das Spinnen des Netzes schon einmal damit, indem du ihn zum Führungskräfteseminar am Wochenende einlädst.«
»Dimsch?« Abscheu spiegelte sich in Irene Großburgs Gesicht.
Torberg grinste. »Er wird schließlich bald
Persönlicher Berater der Vorstandsvorsitzenden.
«
Irene Großburg verdrehte die Augen.
21
Im Seminarraum roch es nach frisch verlegtem Teppichboden. Dimsch saß im Halbkreis zwischen Irene Großburg und Rainer Torberg. Ihm war heiß. Er zupfte an seinem Pullover, umsich etwas Luft zu verschaffen. Seinem Gefühl nach standen die Sessel viel zu dicht aneinander.
Einen Sitz weiter hatte Lara Lichtenfels ihren Platz zugewiesen bekommen, reihum gefolgt von den wichtigsten Abteilungsleitern und Regional-Verkaufschefs. Gegenüber den Führungskräften der Secur AG saß der Seminarleiter, kreuzhohl, konzentriert, kerngesund. Bester Laune schien er, und er schlug vor, Coach genannt zu werden.
»Ganz ohne Umschweife, einfach Coach.« Er zeigte seine strahlendweißen Zähne, schlug sich aufmunternd auf die Oberschenkel.
Dimsch war es ein Rätsel, weshalb er von Irene Großburg zum Führungskräfteseminar eingeladen worden war. Es war das erste Mal. Er vermutete, dass sie ihn testen wollte, womöglich darauf setzte, dass er absagte, um so einen Grund für seinen Rausschmiss zu haben. Aber derart einfach würde er es ihr nicht machen, zu sehr hatte er sein Studierkämmerchen in der Versicherung schätzen gelernt. Lästig nur, dass das Seminar samstags und sonntags stattfinden musste.
Der Coach klatschte in die Hände, blickte in die Runde. »Wer von Ihnen unterstützt den Satz
Der Kunde ist König
?«
Artig hoben alle die Hände.
»Ich nicht«, versetzte er. »Ich halte die Einstellung, wonach der Kunde König sei, für falsch, dumm und gefährlich.«
Er besah die Wirkung seiner Aussage in den Gesichtern ringsum. Und weil sie die erhoffte war, sprang Freude in seinen Augen auf und ab, hin und her, wie weiland Rumpelstilzchen im gleichnamigen Märchen.
»Könige sind es gewohnt«, fuhr der Coach fort, »dass sie das Sagen haben und dass sie alles gratis bekommen. Wollen Sie«, nach einer Kunstpause sprach er weiter, »wollen Sie, dass Ihre Kunden das Sagen haben und alles gratis bekommen?«Er sah erstaunte Gesichter, und so hatte Rumpelstilzchen Anlass, noch eine Runde zu hüpfen.
»Wollen Sie immer noch«, rief er, »dass Ihr Kunde König ist?«
»Nein«, raunten die meisten Führungskräfte. Manche schüttelten, verblüfft über die neue Erkenntnis, den Kopf.
Nun geriet der Coach in Fahrt. »Generell halte ich Kundenorientierung für Schwachsinn. Kunden Orientierung zu geben macht sie selbstsicher und mächtig. Wollen Sie mächtige Kunden?«
»Nein«, raunten wie schon zuvor die Top-Leute des Unternehmens, doch diesmal ihrer Sache bereits sicherer und also lauter. Hätte es Dimsch nicht gestört, dass er sich vorkam wie bei einer Gehirnwäsche, wäre er gern mit eingefallen in diese stärker werdende, gemeinsame Stimmung, die sich am Zerbrechen alter Wahrheiten nährte. So wie vor kurzem noch alle im
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