Der Gluecksmacher
eine nachdenkliche Note. »Es ist natürlich ganz profaner Mäusekot. Aber ich experimentiere gerade mit der Idee, es nicht als das zu sehen, was es augenscheinlich vorgibt zu sein.« Er machte eine fahrige Handbewegung. »Sondern dass es eben vielmehr … Mäusezeichen sind.«
Eva nickte, ihr Blick pendelte von den Mäusezeichen zu Dimsch und gleich wieder zurück.
»Ich meine«, fuhr er fort, »würden wir Morsezeichen hören, ohne zu wissen, dass es Morsezeichen überhaupt gibt, wüssten wir auf Anhieb auch nicht, dass sie eine ganz konkrete Bedeutung haben. Vielleicht verhält es sich ja nicht nurmit Morsezeichen so, sondern auch mit … Mäusezeichen.« Dimsch war unschlüssig, ob das Gesagte für Eva auch nur irgendeinen Sinn ergab.
Drei senkrechte Falten hatten sich in die Mitte ihrer Stirn gegraben. Sie räusperte sich, wippte sanft mit dem Kopf, und dann sagte sie: »Du bist ein Philosoph.«
Dimsch versuchte, weder allzu erleichtert noch allzu wichtig dreinzuschauen. »Ach was, ich interessiere mich ganz einfach für Möglichkeiten. Für Wahrheiten, die nicht von vornherein offenkundig sind. Weißt du«, gab er seiner Vorliebe für Binsenweisheiten nach, »die Wahrheit ist selten einfach weiß oder schwarz.«
»Doch grau ist sie auch nicht«, reagierte Eva spontan.
»Das ist gut!« Er blickte sie verblüfft an. »Das ist wirklich gut. Darf ich mir das notieren?«
»Freilich, ich wäre nicht drauf gekommen, wenn du nicht den Anfang gemacht hättest.«
»Die Wahrheit hat immer einen Anfang«, experimentierte er.
»Aber kaum einmal ein Ende«, fiel ihr ein.
Sie lachten.
Nachdem Sebastian Dimsch Eva Fischer weitere Details von seiner Freundin, der Maus, erzählt hatte, von ihren Besuchen und ihrer beider Diskurs über philosophische Themen, reagierte Eva nicht. Dimsch dachte, dass er es nun übertrieben und sich zum Narren gemacht hatte, da sagte sie: »Wenn du möchtest, verrate ich dir auch ein Geheimnis.«
»Schieß los!« Er beugte sich nach vorn.
»Ich habe einen Vogel.«
Sie bemerkte die unbeabsichtigte Doppeldeutigkeit und ergänzte: »Ich meine, so wie dich eine Maus besucht, besucht mich ein Vogel. Jeden Tag.«
Dimsch war beeindruckt.
»Möchtest du sie sehen?«
»Sie?«
»Den Vogel. Es ist ein Weibchen. Eine Rabin.«
»Eine Rabin«, wiederholte er. Sogar mit Vögeln kennt sie sich aus, dachte Dimsch. »Gerne! Ich möchte deine Rabin unbedingt sehen.«
Als sie ihr Büro betraten, saß kein Vogel auf dem Baum vor ihrem Fenster.
»Vielleicht hat sie gespürt, dass du fremden Besuch mitnimmst«, sagte Dimsch.
Sie pressten ihre Nasen gegen die Scheibe, um besser zu sehen. Das Fenster zu öffnen wagten sie nicht, es hätte der Rabin womöglich Angst gemacht. Die Zweige der untersten Astreihe waren zu nahe, berührten beinahe die Scheibe.
Plötzlich ein Geräusch hinter ihnen. Erschrocken wandten sie sich um. In der Tür stand, sie hatte nicht geklopft, Irene Großburg.
»Hallo allerseits!«
Falls sie überrascht war, Dimsch und Fischer gemeinsam und in ungewöhnlich vertrauter Pose anzutreffen, wusste sie es geschickt zu verbergen. Beinahe überschwänglich kam sie auf Eva Fischer zu. »Ich habe doch versprochen, Sie zu besuchen, sobald mein Terminkalender es zulässt. Noch einmal herzlich willkommen in der Secur AG!« Mit offenem Lächeln griff sie nach Eva Fischers Hand. Erst als sie sich gleich darauf Dimsch zuwandte und »Hallo, Sebastian« sagte, war, einen unbeherrschten Moment nur, ein bitteres Etwas in ihrem Blick. »Ich sehe, ihr arbeitet schon zusammen. Das finde ich großartig. Ich habe Sebastian eigens gebeten, Sie bedingungslos zu unterstützen.« Herzlich sah Irene Großburg in die Augen von Dr. Eva Fischer.
19
Das Auf- und Abgehen im Zimmer brachte ihn nicht weiter. Er konnte sich einfach nicht beruhigen. Die Gereiztheit blieb, das Flattern in der Brust. Sie einfach an der Hüfte nehmen und küssen, das wär’s gewesen. Ganz deutlich hatte Dimsch gefühlt, dass sie ebenso empfand wie er. Zuerst das gemeinsame Philosophieren, dann das romantische Näherkommen beim Beugen über die Mäusezeichen. Förmlich in der Luft hatte es gelegen. Spätestens als sie gemeinsam die Nasen an die Fensterscheibe gehalten und er ihren warmen Atem gespürt hatte, war kein Zweifel mehr. Er hatte ihr seine Maus gezeigt, sie ihm ihren Vogel, was hätte denn noch alles passieren müssen, Herrgott Sakrament?
Dimsch hielt inne. Er dachte an seine Frau und seine Kinder. Natürlich, Gott
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