Der Gluecksmacher
empor.
»Eingeweide sind das Sinnbild unseres Innenlebens.« Er sprach den Satz wie ein Glaubensbekenntnis. »Denken Sie doch nur«, er roch an dem Stückchen Fleisch, »denken Sie doch nur an das Sprichwort
›Das geht mir an die Nieren‹
.« Er ließ die Innerei zwischen seinen Lippen verschwinden, sprach während des Kauens weiter. »Oder
›Da kommt mir die Galle hoch‹,
…
›Da dreht sich mir der Magen um‹
, und so weiter und so fort. All das ist nicht einfach nur so dahergeredet, es hat einen realen Hintergrund. Altersweisheit steckt in derlei Redensarten.« Er nickte, um seinen Worten zusätzliche Bedeutung zu verleihen.
»Eine Freundin von mir«, setzte er fort, »ist Ärztin. Chirurgin, um genau zu sein. Sie hat eine Angewohnheit. Jedes Mal bevor sie am Operationstisch den ersten Schnitt setzt, spricht sie einen Satz.« Der Coach blickte um sich. »Wollen Sie den Satz hören?« Aufmunternde Laute und eifriges Nicken überall. »Nun gut, der Satz lautet: ›Das, was die Psychiater nicht wegbekommen haben, schneiden wir jetzt raus.‹«
Als sich das Stimmengewirr gelegt hatte, fuhr der Coach fort. »Besonders unangenehm ist die Sache naturgemäß dann, wenn es sich um hochsensible Körperteile handelt.« Seine Miene verriet, dass er einen Scherz vorbereitete. »Die Herren unter uns können sich wohl lebhaft vorstellen, dass ein operativer Eingriff bei …« Er beschirmte seinen Mund mit der flachen Hand, gab ihn kurz wieder frei und sagte: »Sie entschuldigen bitte, Frau Großburg, Frau Lichtenfels«, und flüstertedann doch so laut, dass auch die beiden Frauen es hören mussten: »Stellen Sie sich vor, meine Freundin, die Chirurgin, muss eingreifen, nachdem ihnen etwas gehörig auf die«, er simulierte mit Zeige- und Mittelfinger Schneidebewegungen, »wenn ihnen etwas auf die Eier gegangen ist.«
Die meisten Männer am Tisch verzogen, wie schmerzverzerrt, ihre Gesichter. Lauthals lachen konnte nur Torberg. Er hatte Gefallen gefunden am Coach. Seit diesem Nachmittag war er ihm richtig sympathisch geworden.
Lara Lichtenfels neigte sich zu ihrem Sitznachbarn. »Die Innereien«, flüsterte sie Dimsch ins Ohr, »hat er doch nur bestellt, um einen Anlass für seine billigen Späßchen zu haben.« Ihr Mund war so nahe, dass Dimsch es warm und feucht an seinem Ohr fühlte. »Entschuldige«, sie lachte, »verzeih, habe ich dich gekitzelt?«
Am nächsten Morgen verschwendete der Coach keine Zeit. Effizient und markig wie tags zuvor legte er dar, wie die Stresskurve bei Verhandlungen aussehe, wie menschliche Schwächen gewinnbringend zu nutzen seien, welche Taktiken, Tricks und Täuschungen zur Verfügung stünden und wie es generell zu bewerkstelligen sei, Menschen, mit denen man um eine Angelegenheit ringe, in den Wahnsinn zu treiben. »Sämtliche Techniken«, begann der Coach einen Scherz, »können freilich nach Belieben auch im trauten Heim am Ehepartner angewendet werden.« Beim Lachen zeigte er seine makellosen Zähne, und die anderen lachten gerne mit. Abends an der Bar war man einander nähergekommen, die Stimmung war entsprechend locker heute.
»Wenn ihr verhandelt«, der Coach war seit gestern Abend mit allen per du, außer mit Dimsch, der sich wegen Mündigkeit nach nur einem Drink auf sein Zimmer zurückgezogenhatte, wo die Müdigkeit flugs verflogen war, »wenn ihr verhandelt, seid auf keinen Fall vorab pessimistisch. Seid stattdessen … »Er hob animierend die Arme.
»Optimistisch!«, tönte es aus allen Kehlen – auch Dimsch hatte sich aufgerafft.
»Nein!«, schrie der Coach, lachte dazu und Rumpelstilzchen tanzte eine Ehrenrunde. »Optimismus«, dozierte er mit gemessener Stimme, »beruht stets auf einem Mangel an Information.«
Diesen Keulenschlag musste er seine Schützlinge erst einmal wegstecken lassen. Er sah in die Runde. »Immer wenn ihr optimistisch seid«, setzte er nach, »habt ihr naiverweise irgendetwas übersehen. Mit Optimismus werdet ihr gewiss nicht glücklich.« Der Halbsatz, den er darauf noch hatte folgen lassen, konnte von niemandem verstanden werden, bloß die Lippen bewegend und wie in Gedanken sprechend war sein »Glaubt mir das«.
Das Finale des Führungskräfteseminars leitete der Coach mit der obligaten Feedbackrunde ein. Alle sollten ihre Eindrücke schildern. Als die Reihe an Dimsch war, stieß der Coach einige Male mit der Kugelschreiberspitze gegen seinen Notizblock. Das Statement des Abteilungsleiters für Meinungsforschung und Statistik hatte
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