Der Gluecksmacher
besondere Bedeutung für ihn. Dieser Dimsch war der Einzige im Team, der bremste. Definitiv, er war das schwächste Glied der Kette, der größte Risikofaktor, das würde er auch Frau Großburg mitteilen, sie hatte ihn schließlich ausdrücklich damit beauftragt, neben der Durchführung des Seminars sämtliche ihrer Manager zu bewerten, detaillierte Profile zu erstellen.
Dimsch überlegte, was er sagen könnte. Es sollte nicht nur das artige Sprüchlein eines Schulkindes sein. Er wollte klaraufzeigen, was ihm missfallen hatte. Dass ihnen hier Strategien und Techniken beigebracht worden waren, die ausschließlich dazu dienten, sich professionell verstellen zu können, ja, dass ihnen sogar Methoden gelehrt worden waren, wie die Verstellung automatisiert werden konnte, was bei konsequenter Anwendung ja so weit führen musste, dass die Verstellung zur neuen Identität wurde. Schlicht Wahnsinn sei das. Damit entfernten sie sich doch von ihren Mitmenschen und – noch schlimmer – von sich selbst. Da wundere es ihn nicht, könnte er abschließend sagen, dass die Chirurgen-Freundin des Coachs so viele Geschwüre herausschnipseln müsse.
Schon als Dimsch in Gedanken sein Statement durchging, geriet er in Aufregung und fühlte sein Herz gegen den Brustkorb schlagen. Ich könnte es auch ironisch anlegen, überlegte er. Ich könnte sagen: Ich fand das Seminar lehrreich, nun weiß ich, wie ich mich vom Menschen zum perfekten Roboter verwandeln kann.
»Sebastian«, sagte der Coach. »Was ist
Ihr
persönliches Resümee?«
Wenn ich nicht ehrlich meine Meinung sage, bin ich jetzt schon der angepasste Roboter, kam es Dimsch.
Der Coach rollte seinen Kugelschreiber zwischen den Fingern hin und her. Sag es nicht, sag es nicht, redete er in Gedanken auf Dimsch ein. Er fühlte, dass der Mann knapp davor stand, nicht nur seine abschätzige Meinung über das Seminar herauszuschreien, sondern darüber hinaus seine Einstellung, ja sein Seelenleben preiszugeben. Damit wäre die positive Stimmung gefährdet, die insbesondere jetzt am Ende des Seminars wichtig war. Und – noch wesentlicher – es würde allen Anwesenden vor Augen geführt, welch Querulant, Störer, Bremser Dimsch war. Sein für Frau Großburg geplantes Managerprofilvon diesem Typen verlöre jede Überraschung, wäre jedes Insiderwissens beraubt. Schlimm genug, dass Dimschs Gleichgültigkeit gegenüber Job und Firma ohnehin jedem auf den ersten Blick auffallen musste. Mit seiner Sturmfrisur und dem mehr als legeren Äußeren – fadenscheiniger Pulli und abgetragene Jeans anstatt Anzug und Krawatte – demonstrierte er ja geradezu, was er von der Secur AG hielt. Dennoch war Sebastian Dimsch seine heißeste Aktie, mit der Analyse seiner Person würde er die Auftraggeberin am meisten beeindrucken, dessen Profil-Analyse brächte Großburg den stärksten gefühlten Nutzen. Schließlich plante er, sie vor Dimsch ausdrücklich zu warnen. Dieser Mann war eine tickende Zeitbombe für die Versicherung, ein gefährlicher Revoluzzer, sie täte gut daran, ihm so rasch wie möglich zu kündigen.
Der Coach betete, dass Dimsch den Mund hielt. »Nun, Sebastian?«
Dimsch hob den Kopf. Er hatte sich noch nicht entschieden. Je länger er nachdachte, desto mehr missfiel ihm am Seminar. Darüber hinaus empfand er es als geradezu beispielhaft für ein ausschließlich gewinnorientiertes und damit menschenverachtendes Wirtschaftsverständnis. So gesehen, war dieses Seminar die Spitze der Kaltschnäuzigkeit gewesen, die Spitze stupider Arroganz.
Dimschs Ohren wurden rot. Würden die anderen ihn verstehen? Es bräuchte sicherlich eine ganze Weile, bis er ihnen seine Gedanken schlüssig formulieren könnte. Eine Passage in Hermann Hesses »Siddharta« fiel ihm ein.
Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut, es wird immer alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch
.
Dimsch rieb sich die Nase, blickte noch einmal um sich. Alle Augen waren auf ihn gerichtet.
Eine weitere zähe Sekunde verstrich. Und noch eine. Und weil Dimsch glaubte, nun endlich, endlich den Mund aufmachen zu müssen, gab er seine Antwort: »Ich fand das Seminar sehr aufschlussreich.«
Der Coach nickte, blies vorsichtig Luft aus seiner Nase. »Weiter nichts?«
Ihre Blicke trafen aufeinander.
»Im Großen und Ganzen ist es das.«
»Gut.« Befreit lächelte der Coach. »Wenn das alles ist, was Sie zu sagen haben, ist das völlig in Ordnung, und wir machen weiter. Rainer,
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