Der Gluecksmacher
Geschäftsleben gewiss überlebenswichtig ist, sollte sie sich ein Stück abschneiden, anstatt deswegen weiche Knie zu bekommen wie ein Schulmädchen. Eva griff an ihre Hornbrille.
Noch während sie mit energischen Schritten und der Absicht, sich gleich wieder in die Arbeit zu stürzen, durch das Großraumbüro Richtung Ausgang gegangen war, klappten hinter ihr sämtliche Lamellen des Glaskubus zu. Luken dicht.
Wenig später war eine E-Mail mit geschätzten zwölf Rufzeichen bei Rainer Torberg eingelangt. Vor den Rufzeichen stand zu lesen:
Komm sofort in mein Büro
.
Irene Großburg war nicht nur empört, sie war den Tränen nahe gewesen, als sie Eva Fischers Bericht überflogen hatte. Schon bei den ersten Zeilen der Zusammenfassung gefror ihr Gesicht, zuckten ihre Lippen. Dass Vater mir das antun kann! Es fühlte sich an wie ein gerader, sauberer Schuss durchs Herz.
Als Torberg eintrat, hatte sie ihre intimsten Gefühle wieder unter Verschluss. Das Ventil, das es brauchte, um sie nicht überkochen zu lassen, um nicht unkontrolliert loszuheulen, war blanker Zorn.
»Dieses rothaarige Flittchen, diese Dreckschweine!« Ihre Stimme bebte. »Dass sich die beiden nicht genieren! Offensichtlicher geht’s doch nicht mehr!«
Sie war über das Kompendium gebeugt, hielt den Zeigefinger an das Papier. »Hör dir das an: Sebastian Dimsch erfüllt neben seiner Tätigkeit als Abteilungsleiter für Meinungsforschung und Statistik eine immens wichtige soziale Funktion in der Versicherung, die unmöglich überschätzt werden kann. Er übt auf viele Mitarbeiter eine leistungsstimulierende«,Großburg schnappte nach Luft, »motivierende und darüber hinaus die Stimmung erhellende Wirkung aus. Dringend rate ich deshalb dem Vorstand, die soziale Kompetenz des Abteilungsleiters Dimsch und insbesondere seine herausragende Gabe, Menschen das Gefühl von Glück zu vermitteln, vermehrt und systematisch für das Unternehmen zu nutzen.«
»Starker Tobak«, sagte Torberg.
»Diese Arschlöcher!«, fauchte Großburg.
»Weiß dein Vater schon davon?«
»Natürlich!«, schrie Großburg. »Wie naiv bist du, Rainer?« Hass und Verzweiflung waren in ihren Augen. »Er hat den Bericht sicher vor mir bekommen. Er ist der Auftraggeber, hast du das vergessen, Rainer?«
Torberg sah zu Boden. Er hasste es, wenn er angeschrien wurde. Vor Ärger traten seine Wangenknochen hervor. Dir werde ich es noch zeigen. Sobald du schwanger bist, übernehme ich den Laden. Aber du bist ja nicht einmal fähig, ein Kind zustande zu bringen, blöde Zicke!
»Rate einmal«, sagte Irene Großburg, nachdem lange Momente der Stille verstrichen waren, »welches Motto das Flittchen ihrer Umfrage vorangestellt hat?« Sie blätterte nach vorne, fixierte die Stelle und las vor: »Die Wahrheit ist selten weiß oder schwarz. Doch grau ist sie auch nicht.«
Gar nicht so schlecht, dachte Torberg.
»Weißt du, von wem sie das hat?« Unter ihrer linken Augenbraue zuckte ein Nerv. »Von ihrem Darling natürlich, von Dimsch. Er hat das in seinem Büro hängen. Steht auf einem dieser Zettel, die er an den Wänden aufgeklebt hat. Das musst du dir übrigens einmal anschauen. Sein Büro schaut aus wie das Zimmer eines Irren, wie das von einem geisteskranken, perversen Verbrecher aus einer dieser TV-Serien. Lauter Zettelan den Wänden.« Sie fuchtelte mit den Händen, riss die Augen auf. »Zettel. Zettel, Zettel. Überall!«
»Du warst in seinem Büro?«
»Natürlich, ich muss mir doch ein Bild machen. Ich habe schließlich Verantwortung für die Versicherung.«
»Du hast einen Schlüssel?« Torberg dachte an seinen Ordnerschrank, den er stets versperrt hielt.
»Portier«, sagte sie erschöpft und dann beinahe tonlos: »Lauter Zettel. Zettel mit Sprüchen drauf.«
Torbergs Ärger über ihre Ausfälligkeit war noch nicht restlos abgeklungen, als eine Idee durch seinen Kopf glitt wie eine von irgendwoher aufleuchtende Sternschnuppe. Kurz blickte er auf, umfing mit den Fingern seine Stirn, um den Gedanken nur ja nicht entkommen zu lassen. Als er kurz danach aufsah, war ein Leuchten in seinen Augen.
Irene Großburg bemerkte es sofort.
»Du hast eine Idee«, sagte sie, und noch während sie diese vier Worte sprach, veränderten sich ihre Züge, veränderte sich ihre Körperhaltung, war mit einem Mal wieder Hoffnung in ihr. »Stimmt’s? Du hast eine Idee.«
»Ja«, sagte Rainer Torberg.
29
Gewiss, es war ein Geschäftsessen, doch Rainer Torberg hatte es zu arrangieren gewusst,
Weitere Kostenlose Bücher