Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
Vom Netzwerk:
Menschenaffen erinnerte. (Er wusste nicht, wie ein Menschenaffe schrie, aber genauso wie er eben geschrien hatte, müsste ein wütender, richtig wütender Menschenaffe schreien, dachte er, ein Orang-Utan zum Beispiel oder ein Gorilla.) Er schrie noch einmal, aber das Gebrüll gelangdieses Mal nicht so beeindruckend. Dimsch hob den Hörer ab.
    Irene Großburg sprach mit heller, klarer Stimme und so voller Liebenswürdigkeit, als sei etwas wahrhaft Großartiges in ihr Leben getreten, etwas, das ihr Wesen von Grund auf erfrischt hatte. »Ich hoffe, ich störe nicht, Sebastian. Aber solltest du Zeit haben, würde es mich freuen, wenn du raufkommst. Ich möchte dich in eine neue Idee einweihen, ein großes Projekt, und hätte gerne deine Meinung dazu.«

    Als sich Dimsch auf den Weg ins Vorstandsbüro machte, den Gang ärgerlich laut entlangquietschend (die Kunststoffsohlen seiner neuen Schuhe vertrugen sich nicht mit dem Bodenbelag), steckte die Maus ihre Schnauze durch das unter dem Heizkörper verborgene Loch und schnupperte. Schnupperte, als ob sie wissen wollte, ob die Luft rein war. Nachdem sie, ihrem Ermessen nach, ausreichend lange geschnuppert hatte, trippelte sie in die Mitte des Zimmers, sah mit aufmerksamen Äuglein hierhin und dorthin, begab sich zur gegenüberliegenden Mauer und machte sich daran, die Wand hinaufzugehen. Es gelang nicht gleich, wie sie es vorgehabt hatte, immer wieder fiel sie herunter, was amüsant anzusehen gewesen wäre für Dimsch, doch der betrat eben den Glaskubus der Vorstandsvorsitzenden. Die Maus gönnte sich keine Rast, setzte von neuem und immer wieder von neuem an, bis sie, womöglich selbst überrascht, am Ziel angelangt war, der Oberfläche des metallenen Registerschranks. Dort war nichts, was der Maus hätte Freude bereiten können, rein gar nichts lag da. Es hing nur etwas knapp darüber, zwei Zettel waren es. Die Maus stellte sich auf die Hinterbeinchen, machte sich an ihnen zu schaffen, zuerst am linken Zettel, auf dem stand ein Gedanke Epiktets:
Und so verlässt er völlig aufgeblasen vor Stolz das
Podium, wenn er Applaus erhält; buht man ihn hingegen aus, ist es mit seiner Aufgeblasenheit rasch vorbei, völlig gleichgültig, wie gut sein Gesang tatsächlich war.
    Die Maus kaute etwas an der Nahrung, befand sie als ihr nicht zuträglich und versuchte es einige Zentimeter weiter rechts. Gleich neben dem ehrwürdigen Griechen nämlich hing, wenig bescheiden, ein Aphorismus, den Dimsch selbst zusammengetragen hatte:
Die Menschen machen ihr Glück von Stimmungen abhängig. Heiter oder betrübt sind sie, je nachdem, welche Wellen der Wind der Zeit auf ihr Gemüt bläst. Anstatt das Glück aus ruhigem, tiefem Grund zu schöpfen.
    Es war ein Zettel, den Dimsch vor längerem schon aufgehängt hatte. Als die Maus daran nagte, löste sich der Klebestreifen. Das Blatt glitt in den Spalt zwischen Mauer und Schrank.

31
    Die Chefin hatte ihn binnen weniger Minuten um den Verstand geredet. Vor ihr saß nicht mehr Sebastian Dimsch, vor ihr lag ein Paket in Form und Farbe Sebastian Dimschs: vermessen, verpackt, verschnürt und mit einem festen Knoten versehen. Nur die Masche fehlte noch.
    Es wäre doch unendlich schade, würde er seine wunderbare Gabe nicht stärker nutzen. Einfühlsam zog Großburg die Augenbrauen zusammen. Wie herrlich wäre es, würde er nicht nur den Mitarbeitern der Versicherung zu Glück verhelfen, sondern darüber hinaus noch mehr Menschen, viel mehr Menschen. Ihr schwebe so etwas vor wie eine breite Front der Herzlichkeit, eine soziale Revolution, deren Anführer niemand anders sein könne als er persönlich. Irene Großburg hielt inne, bat um Verzeihung, dass sie derartiges Pathos gebrauche, hiersei es aber doch angebracht, jedenfalls bitte sie ihn nicht bloß im Namen der Versicherung, sondern im Namen aller Menschen, ein Projekt auszuarbeiten, um nicht zu sagen ein Gesamtkunstwerk, das letztendlich wohl am effizientesten sei, wenn es in Form einer Glücksversicherung angeboten werde.
    Er wäre nie auf die Idee gekommen. Aber nun, da nach Eva Fischer auch Irene Großburg ihm versicherte, dass er die Menschen glücklich mache, probierte Dimsch den Gedanken aus. Sehr rasch gefiel er ihm.
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte Dimsch vor den Augen Großburgs damit begonnen, beharrlich eine Haarsträhne um seinen Zeigefinger zu kringeln. Fortan, träumte Dimsch vor sich hin, könnte er offiziell das tun, was er ohnehin längst tat, nämlich das Glück suchen.

Weitere Kostenlose Bücher