Der Gluecksmacher
zerkugelten sich die Kinder. Der Berg aus Stofftieren indes zuckte, als sei in seinem Inneren irgendetwas zum Leben erwacht.
34
Am Morgen erwachte Dimsch von einem schönen Traum, der zerstob zwar mit dem ersten Wimpernschlag, doch die helle Aura blieb. Dimsch sprang aus dem Bett, wusch sich, putzte sich die Zähne, schlüpfte in Jeans und Pullover und verspürte bei alldem ein anregendes Prickeln, eine belebende Frische. Er hatte einen Job zu erledigen. Heute würde er damit beginnen, das Glück zu meistern. Nicht nur für sich – für alle, die das wollten.
Er erlebte Euphorie, als er in die Straßenbahn sprang, Euphorie, als er der Versicherung zuschwebte, Euphorie, als er durch die Empfangshalle tänzelte, sein Zimmerchen betrat, sich auf den Sessel schwang, Euphorie, als er den Computer startete und ein neues, blitzblankes Dokument öffnete, um das Gerüst für sein Glücksprojekt zu entwerfen. Er saß davor, wippte hin, wippte her, trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, zwirbelte eine Haarsträhne nach der anderen, und erst Stunden später gestand er sich ein, dass er keinen Schimmer hatte, wie die Sache zu beginnen sei.
Die Tage verstrichen – und Dimsch steckte fest.
Irene Großburg indes amüsierte sich königlich. Sie ließ noch eine Woche vergehen und stellte Rainer Torberg dann wie beiläufig eine Frage.
»Wie weit, glaubst du«, ihre Augen sprühten nur so vor Vergnügen, »wie weit ist Dimsch mit dem Entwurf der Glücksversicherung?«
»Keine Ahnung.« Torberg zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Jedenfalls hat er mich bisher nicht um Hilfe gebeten.«
Großburg nahm ein blütenweißes Blatt Papier und hielt es ihm entgegen. »So weit ist er.«
»Er hat noch gar nicht angefangen?«
»Keinen Buchstaben hat er fertiggebracht bis jetzt. Keinen einzigen. Keinen Punkt, kein Komma, kein Nichts.«
»Und das hat er dir gesagt?«
»Nein.« Ihre Mundwinkel zuckten vor Vergnügen.
»Woher weißt du es dann?«
Sie strich mit Behagen über das unbeschriebene Blatt. »Vom IT-Administrator.«
»Du lässt ihn beobachten? Du weißt aber schon, Irene, dass das gesetzeswidrig ist.«
»Unsinn, es ist schließlich mein Unternehmen. Zumindest das meines Vaters.« Großburg ärgerte sich, Torberg hatte ihr den Spaß verdorben.
Dimsch indes hielt es nicht mehr in seinem Zimmer aus – so weit hatte ihn das Glücksprojekt gebracht. Dabei war sein Zimmer doch sein Paradies gewesen, sein Zufluchtsort. Nun raubte ihm das Büro alle Luft, begann zudem, seinem Verstand zuzusetzen. Dimsch riss das Fenster auf. Es half nicht. Die Wände mit all den Zetteln, all den Weisheiten und Aphorismen über das Glück und über das richtige Leben rücktennäher und näher an ihn heran, von allen Seiten bedrängten sie ihn. Einen Überblick verschaffen wollte sich Dimsch, als er Blatt für Blatt aufgeklebt hatte. Doch je weiter er vorangekommen war mit seiner Arbeit, desto unüberschaubarer geriet sie. Je mehr Zettel und also Möglichkeiten sich auftaten, desto tiefer versank er darin. Losgesagt hatte sich das Glück von ihm, wie ein Gott, der nicht wollte, dass jemand hinter sein Geheimnis kam, der grollte und zürnte und tobte und sich daran machte, seinen glühendsten, seinen wissbegierigsten Anbeter zu vernichten. Die Wände rückten an Dimsch heran, berührten fast schon seinen Schädel, wollten ihn einmauern, begraben unter sich, begraben unter Unmengen von Zetteln mit Glück.
Dimsch schnellte von seinem Sessel hoch, riss die Tür auf, sprang raus auf den Gang.
Augenblicklich war es besser. Er wischte sich Schweiß von der Stirn. Gleich darauf vernahm er fröhliche Frauenstimmen hinter der Brandschutztür. Vermutlich waren es von Eva beschäftigte Studentinnen. Er würde sie einfach vorübergehen lassen, musste ja nicht mit ihnen sprechen. Da erkannte er, dass eine der Stimmen Lara Lichtenfels gehörte. Nein, bitte nicht. Dimsch atmete durch. Er war nicht in der Verfassung für Konversation, nicht einmal für den Austausch kurzer Belanglosigkeiten. Und weil er keinesfalls in sein Büro zurückwollte, schlüpfte er ohne viel Nachdenkens in das Zimmer mit der Aufschrift
Magazin A,
Roberts Büro.
Dimsch hatte den Raum seit Monaten nicht mehr betreten. Eine massive Holzkonstruktion ragte diagonal durch das Zimmer, von einer Ecke zur gegenüberliegenden und sicherlich eineinhalb Meter hoch. Dimsch erinnerte die Form an eine überdimensionierte halbierte Erdnuss.
»Robert?« Er rief es halblaut.
»Chef?«, kam als
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