Der Gluecksmacher
merkwürdiger Tag!, dachte Dimsch, als er zu seinem Büro zurückkehrte. Dort würde es jetzt, Zitatwände hin oder her, nicht unwirklicher sein als bei Robert und Sabine. Er drückte die Klinke zu seinem Zimmer mit dem Türschild
agazin B,
trat ein und zuckte zusammen. Im Büro saß Lara Lichtenfels.
Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, las offensichtlich einen der Aphorismen an der Wand. Dimschs Eintreten ließ sie unbeeindruckt. »Faszinierend«, sagte sie. Es war ihre Begrüßung. »Faszinierend, was du da an Klugheiten um dich gesammelt hast.« Kurz blickte sie zu ihm, las gleich darauf weiter. »Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich mich einfach gesetzt habe, während du nicht da warst. Die Verlockung«, sie kniff die Augen zusammen, um die Sentenz entziffern zu können, »die Verlockung war einfach zu groß.«
»Kein Problem.« Dimsch antwortete mit gespielter Gleichgültigkeit und zwängte sich an ihr vorbei.
»Nach all diesen Zitaten wird mir einiges klarer.« Vielsagend wandte sie sich um, fixierte ihn. Dimsch fühlte, wie ihn Nervosität befiel und seinen Körper durchdrang wie ein rasch sich ausbreitender Virus.
Wie in Zeitlupe wirkte es für ihn, als Lara Lichtenfels ein Bein über das andere schlug. »Sebastian, mich interessiert brennend«, für einen Moment ließ sie die Lippen geöffnet, tippte mit der Zungenspitze gegen die makellose obere Reihe ihrer Zähne, »ja brennend, wie es dir mit unserem neuen Produkt geht.«
Dimsch tat, als würde er nachdenken, und schob die Lippen nach vorn. Eine Beklemmung war in seinem Hals, die Luft im Zimmer fühlte sich mit einem Mal so trocken an.
»Ich habe von Irene gehört, dass du bereits mitten in der Konzeption der Glücksversicherung bist. Du verstehst sicher, dass ich als Verkaufschefin beinahe zerspringe vor Neugier. Ich setze wirklich große, sehr große Erwartungen in das neue Produkt.« Sie blickte ihn auf eine Art an, die Dimsch das Gefühl gab, er sei ihr völlig ausgeliefert. Rasch schlug er die Augen nieder.
»Ich erwarte ja nicht, dass du mich in Details einweihst. Dafür ist es ja auch noch viel zu früh. Aber da das Grundkonzept schon steht, wie ich gehört habe …«
Dieses Innehalten war gewiss kein Zufall. Dimsch wurde heiß, er fühlte Blut in seinen Kopf steigen. Sie weiß alles, sie weiß, dass ich bis auf ein paar lose Gedanken noch nichts habe, gar nichts, dass ich drauf und dran bin, das Projekt in den Sand zu setzen. Die Beklemmung im Hals war mit einem Mal unerträglich, er hustete, schlug sich mit der Faust gegen die Brust, hustete abermals.
»Entschuldige.« Dimsch rang nach Luft, und beim Aufsehen bemerkte er, dass in ihrem Gesicht ein neues, feines Lächeln spielte. Gerade war im Ausdruck von Lara Lichtenfels noch etwas Unentschiedenes gelegen, eine verborgene Gefahr, doch nun war da nicht bloß ein ehrliches Lächeln. Eine Einladung war ihr Blick.
»Darf ich raten?« Etwas Mädchenhaftes und zugleich Mütterliches strahlte sie nun aus. »Darf ich raten, Sebastian? Wie du es angegangen bist?«
Unsicher lächelte er zurück.
»Ich schätze«, begann sie, »dass du dein Konzept auf mehreren Säulen aufgebaut hast.« Sie blickte ihm in die Augen. »Zuerst wirst du dich wohl auf den neuesten Stand der wissenschaftlichen Glücksforschung bringen. Vermutlich parallel dazu, könnte ich mir vorstellen, wirst du eine breite Publikumsumfrage durchführen lassen, über Wünsche, Sehnsüchte, Glückshemmnisse und dergleichen. Dann«, sie drehte bedachtsam an ihrem Ring, »wirst du anhand der eingehenden Ergebnisse vermutlich Gruppen von Glückssuchenden definieren, um ihnen systematisch helfen zu können, wirst Einteilungen nach Kriterien wie Job, Familie, Freunde, Gesundheit, Sehnsüchte vornehmen. Und drittens wirst du wahrscheinlich daran gehen, für die jeweiligen Gruppen eigene Glücksprogramme zusammenzustellen, vermutlich mit Hilfe eines Baukastensystems. Woraus kann das bestehen? Es wird wohl eine Mischung sein aus gezielter psychologischer Betreuung, besonderem Coaching, Meditationstechniken, wer weiß, vielleicht sogar Massagen und Klosteraufenthalten, eventuell Medikamenten«, sie zuckte mit den Schultern, »sicherlich mit dabei ist jedenfalls angewandte Philosophie.« Ihr Blick glitt demonstrativ über die aufgeklebten Zettel. Sie schmunzelte. »Habe ich im Groben recht?«
Er sah sie an, schluckte Speichel, der sich im Mund angesammelt hatte. »Im Groben, ja. Ja, durchaus, Lara.«
Sie stand auf, sah ihn leise
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