Der Gluecksmacher
Bloß, dass seine Suche auf eine höhere Ebene gehoben würde, da nicht nur sein eigenes Glück der Maßstab wäre, sondern das aller Menschen. Und welcher Job dieser Welt sollte sinnvoller sein als jener, den Menschen Glück zu bringen?
Dimsch sah auf.
Da ergriff Großburg seine Hand. »Es freut mich riesig«, sie legte ihre zweite zur Bestätigung weich darüber, »wirklich riesig, dass du es machen wirst, Sebastian.«
Der Glücksversicherung, dieser Jahrhundert-Innovation, wie Irene Großburg sie anpries, schien von der ersten Sekunde an eine magische Kraft innezuwohnen. Denn noch bevor Dimsch daran ging, das Projekt überhaupt zu konzipieren, machte es den ersten Menschen bereits ungewohnt froh: Sebastian Dimsch selbst.
Sein Glück zu verbergen fiel ihm schwer. Obgleich er redlich versuchte, es sich beim Verlassen des Vorstandskubus nicht allzu deutlich anmerken zu lassen, wandten die Kollegen ihre Köpfenach ihm. Dimsch schwebte geradezu durch das Großraumbüro. Er spürte, welche Anziehungskraft von ihm ausging, welche Energie und Lebensfreude. Keine fünf Meter müsste er mehr gehen, um im Treppenhaus angelangt zu sein, dort könnte er, endlich unbeobachtet, die Faust ballen vor Freude, einen Luftsprung tun. Nur noch zwei Schritte entfernt war Dimsch vom Treppenhaus. Gleich würde er um die Ecke biegen. Gleich Eva Fischer sehen und Rainer Torberg beim innigen Küssen.
Sie hatte ihre Männerpause nicht durchgehalten, aber diesmal würde es etwas Anderes, etwas Besonderes sein, hatte Eva sich gesagt, als sie mit Rainer zusammengekommen war. Das klang lächerlich, wie Mädchengerede. Doch Eva war sicher – und wiederholte es sich dutzendfach –, dass sie diesmal nicht in ihre gewohnte Rolle fallen würde, sich diesmal nicht enttäuschen und ausnützen lassen würde. Mit Rainer war es auch nicht wegen Rainer etwas Besonderes, ihretwegen war es etwas Besonderes. Sie spürte, dass sie nun stark genug war, um auf sich Acht zu geben. Wenn Rainer sie nur ein Mal, ein einziges Mal enttäuschte, würde sie Schluss machen. Das hatte sie ihm auch exakt so gesagt, gleich in der ersten Nacht: Wenn du mich nur ein einziges Mal enttäuschst, hatte sie gesagt, mache ich Schluss mit dir. Rainer hatte nur milde gelächelt und nicht erkennen lassen, ob er sie ausreichend ernst nahm, doch das machte Eva nichts, schließlich hatte sie es vornehmlich zu sich gesagt und nicht zu Rainer. Sie hatte lediglich überlegt, ob sein Abtun, seine mangelnde Aufmerksamkeit bereits die erste Enttäuschung gewesen war und sie konsequenterweise schon jetzt, ja auf der Stelle, also in der ersten Stunde ihrer Beziehung, Schluss machen sollte.
Nein, es wäre wohl etwas zu kapriziös gewesen, außerdem hatte Rainer gerade so köstlich an ihrem Ohr geknabbert.
32
Dimsch musste an die frische Luft, beendete eben die zweite energische Runde um den Häuserblock. Ausgerechnet diesen schleimigen, schnöseligen Schickeria-Schönling hatte sich Eva ausgesucht!
Dimsch nahm Anlauf, trat mit der Schuhspitze gegen einen zu Boden gefallenen Zweig.
»Kraaaah!«, machte es über ihm.
Dimsch blickte auf. Da oben saß ihre Rabin.
Es war keine Überlegung, die ihn auf die herumliegenden Steinchen zuspringen und sie in die Richtung des Vogels feuern ließ, sondern ein Reflex. Hoffentlich treffe ich ihn nicht, schreckte sich Dimsch, als es zu spät war und die Ladung Feinsplitt bereits unterwegs. Nein, kein einziges Steinchen berührte den Raben. Doch der Glücksbeauftragte der Secur AG hatte mit solcher Heftigkeit geschossen, dass der Schotter durch die Zweige und Blätter pfiff und erschreckend laut gegen das dahinterliegende Fenster prasselte. Der Rabe stieß sich kreischend ab, flog unversehrt davon, was Dimsch erleichterte, doch es zu genießen blieb nicht Zeit, er fürchtete, infolge des Steinhagels könnte gleich das Fenster geöffnet werden, was auch prompt geschah.
Dimsch sprang in eine Nische der Fassade, drückte sich, den Atem anhaltend, gegen die Mauer und musste in der Folge mit anhören, wie Rainer Torberg Eva Fischer tröstete, dass ihrer
lieben, lieben Rabin ganz, ganz sicher
nichts geschehen sei.
Zur Vorsicht hielt sich Dimsch noch eine Weile versteckt. Dann lief er, sich eng an die Mauer haltend, Richtung Eingang, betrat die Versicherung, winkte den Empfangsdamen mit gequältem Frohsinn zu und hatte für diesen Tag nichts weiter vor, als sich – für alle unsichtbar – in seinem Büro zu verkriechen.
Kaum war er in seinen
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