Der Gluecksmacher
ihm ein Glas Sekt.
»Das ist nett, danke.« Dimsch nahm einen kräftigen Schluck. »Wo war ich? Ach ja, der Forscher. Er hat eine Maschine, also ein Gerät, na ja, so einen Apparat erfunden, mit dem der Glückspegel …«, Dimsch musste sich erneut zusammenreißen, um nicht herausprusten, »ein Gehirnstromzonendingsjedenfalls, mit dem das Glück gemessen werden kann. Die Wirkung unseres Produkts wird also wissenschaftlich objektiv messbar sein.« Er war nicht sicher, ob er die Worte
wissenschaftlich
und
objektiv
fehlerfrei ausgesprochen hatte.
»Und du als unser Fachmann«, begann ein älterer, beleibter Kollege aus der Verkaufsmannschaft leise, »was ist deiner Ansicht nach der beste Weg, um glücklich zu werden? Ich meine, wirklich glücklich?« Der Mann sah Dimsch erwartungsvoll an. Seine einfache Frage schien die Atmosphäre im Raum verändert zu haben. Ruhig war es plötzlich. Dimsch blickte ihn an, hatte den Eindruck, dass die Antwort große Bedeutung für den Kollegen haben würde. Dieser nette Mensch, dachte er und wurde alkoholbedingt sentimental, er verdient eine ehrliche, eine solide Antwort. Ich muss es ihm erklären, wie einem guten Freund.
»Walter«, sagte Dimsch ernst. Er überlegte kurz, ob er bereits lallte, was ihm gleich darauf nebensächlich erschien, wichtig war, diesem Menschen eine grundehrliche Antwort zu geben. »Walter«, wiederholte Dimsch, und plötzlich spürte er geradezu körperlich die Erwartungshaltung, die sich rund um ihn aufgebaut hatte. Mucksmäuschenstill war es, alle hatten wohl registriert, dass ein besonderer Moment bevorstand. »Walter, hast du dich schon einmal gefragt«, Dimsch hielt kurz inne, »hast du dich schon einmal gefragt, warum Urinieren und Scheißen derart befreiende Hochgenüsse sind?«
Rundum verlor Gesicht für Gesicht seine Linie.
»Hast du dich das schon einmal gefragt?«
»Nein«, sagte Walter nach kurzem Zögern, »aber ich weiß, was du meinst, Sebastian.« Er nickte aufmunternd. »Ich weiß genau, was du meinst.«
Dimsch schloss kurz die Augen. Öffnete sie wieder. Die Konzentration, sie fiel schon etwas schwer. Vorsichtshalbersprach er langsam, betonte jedes Wort: »Urinieren und Scheißen, Walter. Schenken uns deshalb … derartigen Hochgenuss, derartige Befriedigung … weil unser Körper Ballast abwirft. Ballast«, wiederholte er. »Weil sich unser Körper von Unnützem, Schädlichem, Giftigem befreit.« Nun gewann seine Rede an Fahrt: »Wie genussvoll muss es sein, wenn wir auch unser Hirn und unsere Seele von Unnützem, Schädlichem, Giftigem befreien! Und zwar«, er hielt die Sektflöte empor, »ebenso oft, wie wir scheißen.«
»Und lulinielen«, warf Peng ein.
»Genau!«, rief Dimsch. »Und jedes Mal, wenn wir urinieren oder scheißen, sollten wir daran denken, dass wir es mit dem Urinieren und Scheißen nicht bewenden lassen dürfen. Oder wollen wir etwa, dass unser Körper klüger vorgeht als unser Verstand und unsere Seele?«
Als Dimsch geendet hatte, war es ziemlich leise im Raum. Nur etwas Geraune und Flüstern war zu hören. Lara Lichtenfels etwa meinte schmunzelnd hinter vorgehaltener Hand: »Für meinen Geschmack war etwas zu viel von Urinieren und Scheißen die Rede, aber davon abgesehen ein interessanter Ansatz. Und mutig.« Verblüfft und gleichermaßen erheitert leckte sie mit der Zunge am Gaumen. »Vielversprechend mutig.«
»Und was hältst du vom Glauben, Sebastian?«, erkundigte sich eine Kollegin aus der Buchhaltung. »Ich meine den Glauben an Gott, der uns doch auch zum Seelenglück führen kann.« Sie war ungewöhnlich zierlich gebaut, verschränkte ihre Arme eng am Körper und hielt dabei die Hände in den Ärmeln ihrer Wollweste verborgen, als friere sie.
»Gott ist wunderbar.« Dimsch trank den letzten Schluck aus seinem Glas. »Ehrlich, Gott ist für mich die genialste Erfindung, die jemals gemacht wurde. Die allergenialste! Werkann, sollte unbedingt an Gott glauben. Das ist meine tiefste Überzeugung und keinesfalls ironisch gemeint! Gott erspart das Denken. Alles Philosophieren, Hinterfragen, Kämpfen, Zweifeln, Kopfzermartern: hinfällig! Einfach hinfällig, dank Gott. Gott erlöst von aller Pein!« Dimsch warf den Kopf in den Nacken, hob die Hände gen Himmel. »Danke! Danke! Danke!«
»Grüß Gott, grüß Gott!«, donnerte es plötzlich.
Der alte Großburg marschierte ein.
»Wieso auf einmal so leise?«, beschwerte der Alte sich launig, schwenkte eine Magnumflasche Sekt, wohl ein Abschiedsgeschenk für
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