Der Gluecksmacher
Kalendersprüche das Gespräch. Dimsch gab dann nur wieder, was er sich angelesen hatte, war also wahnsinnig klug, klüger, als es zu verkraften war.
Ein Bierchen später war die Authentizität meist zurückgekehrt und die Welt wieder stimmig und herrlich heiter. Wenn Dimsch dann mit seinen Kunden sprach, entwickelte er wieder jene Überzeugungskraft, die ihn selbst überzeugte, entwarf er wieder jene Sicht der Dinge, die ihm alleine, auf sich gestellt, nie und nimmer in den Sinn gekommen wäre.
War er in Bierlaune, ersann Dimsch zuweilen auch Ideen, die manch Kunden in Kurzschlusshandlungen trieben, und Lara Lichtenfels sah sich genötigt, ihn zu ermahnen, die Kundschaft nicht verrückt zu machen.
»Bitte«, sagte sie, »bitte Sebastian, hetz die Leute nicht ständig in Unüberlegtheiten.«
»Welche Unüberlegtheiten?«, fragte Dimsch dann, als wüsste er von nichts, und Lara legte ihm Briefe vor, ähnlich jenem, in dem ein fünfunddreißigjähriger Bankmanager der Secur AG im Allgemeinen und einem gewissen Sebastian Dimsch im Besonderen dafür dankte, ihm eine neue Sicht der Dinge ermöglicht zu haben, ihm die Augen dafür geöffnet zu haben, dass er in seiner Dienstbeflissenheit all die Jahre ein loyaler Narr gewesen war, getrieben von Geld, Karriere und Routine, auch dass er sich zum Sklaven gemacht, sein persönliches Glück angeblichen Notwendigkeiten geopfert hatte. Doch damit sei es nun vorbei, endgültig vorbei, er habe gekündigt, auch seine Wohnung aufgegeben, ein One-Way-Ticket nach Papua-Neuguinea gekauft, und morgen gehe der Flug, gleich in der Frühe. Und, ach ja, die Glücksversicherung sei eine tolle Sache, aberer brauche sie nun wirklich nicht mehr, danke, danke, danke, außerdem ganz, ganz liebe Grüße, und wie gesagt, besonders an den Mitarbeiter Sebastian Dimsch.
11
Papua-Neuguinea, dachte Dimsch. Nicht schlecht. Ob ich dort jemals hinkommen werde?
Am selben Tag klingelte bei Eva Fischer das Telefon. Sie wollte das Gespräch abweisen, auf ihre Sekretärin umleiten. Zuletzt war der Stress enorm geworden, ihr Geschäft hatte dank der Glücksversicherung derart expandiert, dass sie nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand. Evas Zeigefinger berührte bereits die Rufumleitungstaste, als sie am Display erkannte, dass das Gespräch aus Übersee kam. Neugier und Vernunft rangen miteinander, und weil die Neugierde gewann, wusste Eva Fischer wenige Sekunden später, dass aus Nordkorea angerufen wurde, aus dem Vorstandsbüro von Peng-Steel.
»Du haben Stless, ik hölen in dein Stimme«, sagte Peng und kicherte.
Es gehe ihm gut, versicherte Peng auf Evas Frage, na ja, nicht ganz gut, aber gut. Eigentlich nicht so gut, sagte Peng schließlich. Das sei auch der Grund seines Anrufs. Das Stahl-Business laufe gar nicht so schlecht, ein bisschen mühsam sei schon alles, aber es laufe gar nicht so schlecht. Es sei nur so, dass sein Job als Hausbote viel lustiger gewesen sei. »Wenigel Stless und unbeschweltel«, erzählte Peng, und in diesem Moment war kein fröhliches Glucksen in seiner Stimme.
»Eva«, Peng flüsterte, »ik wollen wiedel zulück.«
»Ja, das wäre schön«, seufzte Eva Fischer, »ich würde mich auch freuen, dich wieder zu sehen, aber das Geschäft, nicht wahr, es geht ja leider nicht.«
»Schon«, gab Peng zurück.
»Schon«, wiederholte Eva. Wie er das meine? Schon?
»Schon«, sagte Peng noch einmal. »Schon geht.«
Eva wusste noch immer nicht, was er ausdrücken wollte, als Peng so viele Worte in der für ihn so komplizierten Fremdsprache aneinanderreihte wie noch niemals zuvor: »Eva, ik bin hiel nikt glucklich, ik fast gal nikt mehl lachen, ik wollen widel zulück in Velsichelung. Du bitte leden mit Flau Gloßheim. Ik will widel meinen Job.«
Eva Fischer schluckte und wusste nicht recht, was sie sagen sollte.
»Bitte, Eva«, wiederholte Peng. Und auf einmal gluckste er wieder, lachte, lachte laut drauflos und sagte: »Du sagen Flau Gloßheim, wenn ik nikt wiedel Job, ik kaufen Velsichelung und schmeißen sie laus.«
12
Rainer Torberg erhob sich von seinem Platz, strich sein schimmernd schwarzes Haar zurück, stellte sich mit nach oben gestemmten Armen in die Mitte des Großraumbüros und schrie, etwas krächzend: »Einhunderttausend! Mit dem heutigen Tag haben wir den einhunderttausendsten Kunden mit Glücksversicherung! Einhundert … tausend!«
Die Belegschaft kannte die Pose. Torberg hatte sie bereits öfters zum Besten gegeben, zuletzt bei den Zahlen
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