Der goldene Greif
Frau verbringen zu sollen. Außerdem war er es leid, sich ständig mit Lumpe n gesindel herumschlagen zu müssen.
Mit allen Mitteln hatte Fürst Morban versucht, ihn umzustimmen. Doch als sogar die in Au s sicht gestellte Mitregentschaft Raigo nicht umstimmen konnte, ließ Morban ihn ziehen und schenkte ihm noch das Schwert seines Vaters, das dieser einst von einem Magier beko m men hatte.
Dieses Schwert hatte eine besondere Eigenschaft: Sobald sich seinem Träger eine Gefahr näherte, gab die Waffe einen hellen, singenden Ton von sich, so daß der Besitzer stets g e warnt war.
Morban hätte es gern selbst getragen, doch das Schwert war sehr lang und schwer, und der Fürst selbst von kleiner, schmächtiger Gestalt. So war es ihm nicht mö g lich, die Waffe im Schwertgehänge zu tr a gen, geschweige denn, sie zu handhaben.
Da er aber von edler und aufrechter Gesinnung war, wollte er Raigo für seinen großen Dienst angemessen belohnen. So ritt der junge Mann davon, versehen mit a l lem Nötigen und den Segenswünschen des ganzen Hofes, und trug stolz die präc h tige Klinge an seiner Seite.
Nun war Raigo wieder heimatlos, doch diesmal aus eigenem Willen. Aber das verdroß ihn nicht, denn schon lange war die Reiselust wieder in ihm erwacht.
So ritt er einfach ins Blaue hinein. Vor ihm auf dem Sattelknauf saß Argin. Der Adler war über all die Zeit bei ihm geblieben. Wenn Raigo zum Kampf auszog, hatte er stets so vor ihm auf dem Sattel gesessen. Doch sobald der Kampf begann, war er aufgestiegen, um sich dann wie ein klauenbewehrter Dämon auf Raigos Feinde zu stürzen. Mehr als einmal moc h te er durch diese wütenden Attacken Raigos Leben gerettet haben, da er immer die Feinde angriff, die seinem Herrn in den Rücken fallen wol l ten.
So war Argin für Raigo nicht nur ein lieber Gefährte und Freund, sondern auch eine Waffe und ein Schild gegen seine Feinde geworden.
Oft hatte Raigo an den Greif denken müssen, wenn er abends am Feuer saß und das glatte Gefieder des Adlers kraulte, der auf der Lehne seines Sessels schlief. Und genauso oft ha t te er seine Gedanken zu dem seltsamen Freund gesandt. Und wenn auch keine Bo t schaft von Phägor zu Raigo drang, so fühlte er sich doch auf eine unerklärliche Art mit dem wu n derb a ren Wesen verbunden.
Das Eigentümlichste aber war, daß Argin jedes Mal aus dem Schlaf erwachte und leise T ö ne von sich gab, als fühle auch er diese geheimnisvolle Verbindung.
So waren auch an jenem Abend Raigos Gedanken zu Phägor geflogen, als er sich selbst vor die Entscheidung gestellt hatte, entweder zu bleiben und zu heiraten, oder wieder hi n auszuziehen. Und wieder hatte er die Verbundenheit mit dem Greifen gespürt, und ein sta r kes Gefühl hatte ihm von einer Heirat abgeraten.
Raigo hatte gehört, daß der König von Ubiranien, Vangor, eine Schar ausgesuchter Recken um sich versammelt hatte, die ihm bei den oft aufflackernden Grenzkriegen mit seinen Nachbarn, den wilden Kiranen, zur Seite standen. Der Ruhm dieser kle i nen Gemeinschaft wurde in allen Landen von den fahrenden Sängern gepriesen, und so hatte Raigo beschlo s sen, sich den Mannen König Vangors zuzugesellen, falls ihm die Ehre der Aufnahme in di e sen Kreis zuteilwerden sollte.
Und wirklich wurde er von Vangor herzlich willkommen geheißen , denn auch Raigos Ruhm war ihm bereits vorausgeeilt. Doch mußte er zuerst gegen drei von des K ö nigs Streitern in einem Turnier antreten, ehe er bei den „Vangoran Moradin“, den Schwertkämpfern Va n gors, aufgenommen wurde.
Schon bald jedoch erstrahlte Raigos - besser: Neskons - Stern heller als die seiner Gefäh r ten, und seine Tapferkeit wurde an allen Höfen besungen.
Im Laufe der Jahre an Vangors Hof war der sonst so heitere und gesellige Raigo jedoch i m mer wortkarger und verschlossener geworden. Oft sahen seine Freunde, daß sein Blick ve r sonnen auf König Vangor lag, wenn dieser im Kreise seiner Ritter zechte und fröhliche Unte r haltung pflegte.
Raigo saß dann meist abseits, und während er das ausgelassene Gelage betrachtete, lag ein wehmüt i ger und bitterer Zug um seinen Mund.
Vangor hatte diese Entwicklung mit Besorgnis gesehen und ihn eines Tages auf die Seite genommen.
„Was bedrückt Euch, mein Freund?“ hatte er gefragt. „Schon seit einiger Zeit bete i ligt Ihr Euch nicht mehr an unseren fröhlichen Festen, Ihr, der Ihr sonst stets der Erste beim U m trunk wart. Ihr seid mir lieb wie ein Sohn geworden, und daher
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