Der goldene Kelch
Ranofer schürte das Feuer und nahm die Pfanne an einem Henkel. „Fass am anderen Henkel an, Heqet. Wir müssen die Pfanne jetzt in den Ofen stellen. So, das war’s.“
„Und was ist, wenn alle Gase entwichen sind?“
„Dann ist die Holzkohle fertig, und wir nehmen sie zum Abkühlen raus. So einfach ist das.“
„Einfach ist es, wenn man weiß, wie’s geht – sagte der Geier, als er ein Falkenei legte.“ Heqet kicherte über seinen Witz. „Danke für den Unterricht, Ranofer. Geh nun ruhig wieder an deine Arbeit. Ich kümmere mich um die Holzkohle.“
Heute hat er mir noch gar keine Fragen gestellt, dachte Ranofer, als er zum Schuppen zurückging. Vielleicht hat er begriffen, dass ich nicht über mich sprechen will. Vielleicht werden wir ja noch richtige Freunde. Peng, pang, peng – die Missklänge von Meryras Hammer drangen wieder an Ranofers erfahrenes Ohr. Er blieb hinter Meryra stehen. Es tat ihm im Innersten weh zu sehen, dass Meryra alles verkehrt machte. Unsicher fasste er den Lehrjungen am Ellbogen. „He! Was ist? Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?“ Meryra linste wütend über die Schulter. Er war etwa siebzehn Jahre alt und hatte klobige Bauernhände. Die Goldarbeit ging ihm nicht leicht von der Hand, und es war nicht zu übersehen, dass das magere Ergebnis, diese jämmerliche Schale, seine übliche Gelassenheit zunichte gemacht hatte.
„Entschuldige, Meryra, aber ich weiß, warum deine Schale nicht glatt wird. Darf ich es dir sagen?“ Beschwichtigt von Ranofers Höflichkeit zuckte Meryra nur mit den Schultern. „Und wenn schon? Wenn du es weißt, weiß ich es noch lange nicht.“
„Du schlägst das Gold nicht richtig. Du musst den Ellbogen höher halten und den Hammer sanft aus dem Arm heraus führen. Dann wird die Schale so, wie du sie haben willst.“
Meryra runzelte misstrauisch die Stirn und sah erst auf Ranofer, dann auf den Hammer. „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wenn ich stärker schlage, wird doch die Oberfläche noch holpriger. Da, schau doch, überall Dellen!“
„Du brauchst auch einen anderen Hammer, einen abgeplatteten Fäustel. Aber auch mit diesem Hammer kannst du das Gold glatt schlagen, wenn du dein Handgelenk steif hältst und den Schlag des Hammers mit dem Arm lenkst. Soll… darf ich’s dir zeigen?“
„Und wenn du alles kaputt machst?“, brauste Meryra auf.
„Das könnte natürlich passieren“, gestand Ranofer bescheiden ein. „Ich habe nicht viel Geschick und noch viel weniger Erfahrung. Aber ich habe immer meinem Vater zugesehen; er hat Hunderte von Schalen getrieben; ich weiß, wie’s geht.“
„Vielleicht, vielleicht auch nicht“, brummte Meryra, schien die Sache jedoch zu überdenken. Er stülpte seine halb fertige Schale über die Form, hob seinen Ellbogen an und schlug gezielt und kräftig zu. Es klang wie Musik. Meryras Augen leuchteten. Er drehte die Schale und schlug wieder und wieder zu. Jeder Schlag klang rein, und die Schale bekam langsam die richtige Rundung.
„Bei Arnim! Du hast ja Recht!“, rief Meryra aus. „Ja, er hat Recht“, meldete sich eine tiefe, weiche Stimme. Die Jungen drehten sich um: Rekh lehnte lächelnd an der nächsten Werkbank. Er richtete sich auf und hinkte zu Meryra hinüber, nahm ihm den Hammer aus der Hand und steckte ihn zurück in die Halterung auf dem Werkzeugbrett. „Versuche mal mit dem Hornfäustel“, riet er ihm, „damit kommst du bestimmt besser zurecht. Und du, Ranofer“, er heftete seinen Blick aufmerksam auf den Jungen, „du kommst mit mir. Ich habe eine Aufgabe für dich.“
Ranofer errötete; er war vor Freude ganz aus dem Häuschen. Rekh ging ihm voraus zu einem kleinen Schmelzofen. Dort lag auf einer niedrigen Werkbank eine Rolle Golddraht neben einem Amboss. Rekh forderte ihn auf, sich auf die Matte zu knien; vom Werkzeugbrett neben der Werkbank nahm er einen Hammer und reichte ihn Ranofer.
„So, mein Kleiner. Du scheinst etwas von der Goldschmiedekunst zu verstehen. Weißt du auch, wie man die kleinen Blätter macht, die man für Damenschmuck verwendet?“
„Ja, Meister!“
„Gut. Dann mach mal eins. Ich seh zu.“ Ranofer traute seinen Ohren nicht. „Ich? Ich soll ein Blatt schlagen, Meister? Aus richtigem Gold?“ Rekh nickte nur und deutete auf den Golddraht. Er wartete.
Ranofer bebte vor Aufregung. Mit zitternden Fingern löste er ein Stück Draht von der Rolle und zog es glatt.
Er, Ranofer, durfte eine Goldarbeit machen! Er durfte etwas lernen, selbst etwas
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