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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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auf Heqets kauendem Mund hängen. „Was isst du denn da?“, fragte er in möglichst beiläufigem Tonfall.
    „Nur eine Dörrfeige.“ Heqet warf Ranofer erst einen Seitenblick zu, dann aber sah er ihm in die Augen. „Ich habe noch eine. Willst du?“
    „Ich? Nein, nein! Ich habe nur so gefragt“, sagte Ranofer schnell. „Ich mag Feigen nicht besonders – “ Ein peinliches Knurren seines leeren Magens schnitt ihm das Wort ab. Das Loch in seinem Bauch war an diesem Morgen sogar größer als der Amuntempel. Heqet sah Ranofer immer noch an. Er zog eine Feige aus seinem Gürtelband und hielt sie ihm hin. „Da, nimm! Die Feige wird deinen Magen beruhigen – sagte der Mann zum Krokodil und hielt ihm sein rechtes Bein vors Maul.“
    Bei der Vorstellung des verdutzten Krokodils musste Ranofer grinsen. Heqet war wirklich der größte Spaßvogel in ganz Ägypten!
    Heqet betrachtete ihn aufmerksam. „Das Lächeln steht dir gut“, stellte er fest. „Warum lachst du nicht öfter?“
    „Ich… ich weiß nicht.“
    „Ach, schade! Jetzt bist du schon wieder so ernst. Und nur wegen meiner dummen Frage! Ich sollte meine Zunge hüten! Hier, die Feige. Sie wird dich aufmuntern.“ Ranofer nahm die Feige. Die Versuchung war größer als sein Stolz. Verlegen dankte er Heqet und biss in die mürbe, goldene Frucht. Sein Mund füllte sich mit dem honigsüßen Fruchtfleisch und es war ihm, als hätte er nie etwas Köstlicheres gegessen. Helles Sonnenlicht ergoss sich in den großen Hof der Goldschmiede, über Öfen, Werkbänke und Tiegel, und verlieh selbst den Bottichen eine eigene Schönheit. Am Tor trennten sich Ranofer und Heqet. Ranofer lief in den Schuppen und machte sich gleich an seine erste Aufgabe, die darin bestand, dem Waagemeister und dem Schreiber zu helfen, jedem Arbeiter seine Ration Gold zuzuteilen. Rekh und die Gesellen waren noch nicht erschienen, die Tür zum Lager stand aber schon offen und die Lehrjungen hatten sich vor der Waage aufgestellt. Als Ranofer sich auf seinen Platz neben dem wartenden Schreiber stellte, kam der Waagemeister gerade mit einem Korb voller Barren aus dem Lager. „So, Freunde. Wir können anfangen. Den Göttern zur Freude!“, keuchte er kurzatmig und nickte zum Gruß. „Was trägt der Meister auf, Hotepek?“
    „Vier Maß an Hapia’o für eine dünne Platte“, las der Schreiber mit leiernder Stimme von der Tafel ab; er ließ die Waage und den Waagemeister nicht aus den Augen, während dieser Barren zu viermal einem Maß auswog. „Erledigt!“, brummte der Waagemeister, als die Waage im Gleichgewicht war.
    „Vier Maß an Hapia’o“, wiederholte Ranofer. Er zog die Barren aus den ledernen Wiegetaschen und reichte sie dem Lehrjungen.
    Der Schreiber zeichnete den Posten auf seiner Tafel ab und las die nächste Anweisung vor. „Ein halbes Maß Gold, ein Zwanzigstel Maß Kupfer und ein Zwanzigstel Silber an Geryt für Lötlegierung.“
    So ging das jeden Morgen. Der Schreiber verzeichnete gewissenhaft jedes Quäntchen Gold, das die Arbeiter von Ranofer entgegennahmen. Mit ihrer Ration gingen sie in den Hof und machten sich an die Arbeit. Rekh kam erst, als das letzte Maß verteilt war. Er grüßte die Männer mit seiner tiefen, warmen Stimme, lächelte Ranofer zu und bat ihn, den großen Schmelzofen anzuzünden. Als der Junge zur Holzkohlenschütte ging, hinkte Rekh an ihm vorbei zum Schreiber. „Nun, Hotepek?“
    „Es ist immer dasselbe, Meister. Ich habe die Zahlen dreimal überprüft, aber sie stimmen nicht mit den gestrigen überein. Es fehlt schon wieder Gold – nicht viel, aber immerhin.“
    Rekh schwieg. Ranofer traute sich nicht, aufzusehen und Rekh ins Gesicht zu schauen. Aber er konnte sich auch so vorstellen, wie sich Rekhs gütiger Blick verfinsterte und sein Lächeln entmutigt aus seinem Gesicht wich.
    Rekh seufzte. „Ich verstehe das nicht“, murmelte er. „Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Was, weiß ich allerdings auch nicht. Wiege die Feilung heute noch mal aus.“
    „Jawohl, Meister!“
    Ranofer beugte sich über die Schütte. Während er eifrig Holzkohle in die Glutpfanne schaufelte, verfluchte er innerlich Ibni und Gebu. Er hörte, wie der hinkende Rekh hinter ihm stehen blieb.
    „Anubis sei uns gnädig, Junge!“, sagte der Goldschmied erstaunt. „Das ist genug! Ich will schließlich keinen Pharaonenthron löten, sondern nur eine kleine Schatulle.“
    „Entschuldige bitte, Neb Rekh“, murmelte Ranofer und gab ein, zwei Schaufeln schwarzer

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