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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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bezahlen. Der Pharao wird meine Halsketten für seine schöne Gemahlin Teje kaufen, und die Königin wird mich, Ranofer, Sohn des Thutra, anlächeln.
    Ich bin kein Dieb!
    Zum Schutz gegen die kalte Nacht rollte sich Ranofer zusammen, so eng es ging, und schlief schließlich ein.

3
     
     
     
    Ranofer erwachte mit dem Gefühl, dass sich etwas Wichtiges und Gutes ereignet hatte. Schlaftrunken sah er sich um; dann erinnerte er sich an die Entscheidung, die er gestern Nacht getroffen hatte.
    Er war plötzlich hellwach und rappelte sich auf. Sein Blick wanderte automatisch zum oberen Raum. Schlief Gebu noch oder war er schon zur Arbeit gegangen? Egal – ich habe keine Angst vor ihm!, sagte sich Ranofer. Trotzdem wollte er sich nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen, indem er der Sache auf den Grund ging. Er schlich über den Hof, der im harten Morgenlicht schäbiger aussah denn je. Auf den Regalen der Vorratskammern standen nur leere Körbe, leere Tontöpfe und ein Teller mit den Bröseln des Fladens von gestern. Gebu hatte also noch nicht gefrühstückt, aber Ranofer wollte nicht auf ihn warten. Hunger war ein besserer Gefährte als Gebu. Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Wasserkrug, band sich das Gürtelband eng um seine schmächtige Taille und verließ den Hof.
    Aufgeregt, aber überglücklich lief er auf flinken, leisen Sohlen die Straße zum Krummen Hund hinunter. Heute würde ein neues Leben beginnen! Er würde kein erbärmlicher Wurm mehr sein, der sich der Striemen auf seinem Rücken schämen und Rekhs Blick ausweichen müsste. Er würde jedes Körnchen Gold auswiegen, er würde die Barren gießen und die Feilung waschen und er würde am Abend diesen Weinschlauch nicht nach Hause tragen! „Gebu will keinen Wein mehr“, würde er zum Babylonier sagen. „Ich soll dir ausrichten, er mag deinen Wein nicht.“
    Gerade als Ranofer in die breite Straße einbog, die das Fruchtland säumte, durchbrach der große Ra den Horizont im Osten. Hinter den smaragdgrünen Feldern konnte er den Fluss sehen, auf dem die Sonnenstrahlen glitzerten wie Edelsteine. Ein Schwarm Spießenten glitt nahe am Ufer durch die Papyrusbüschel und verschwand im Schilf.
    „Sa“, murmelte Ranofer automatisch und erinnerte sich an den Unterricht beim Schreiber. Er blieb stehen und kniete sich hin. Mit dem Finger kritzelte er die Hieroglyphe einer Spießente in den Staub. Er setzte einen senkrechten Strich neben die Ente und fügte einen knienden Mann hinzu; das bedeutete Sa, „Sohn“. Ranofer bewunderte eine Weile sein Werk, dann ersetzte er den knienden Mann durch eine hockende Frau, wischte den Strich weg und zeichnete einen Brotlaib; das bedeutete Sat, „Tochter“.
    Ranofer lächelte. Schreiben zu können verlieh einem Menschen das Gefühl von Stärke. Er wünschte jedoch, er hätte den Brotlaib nicht gezeichnet, denn schon machte sich sein leerer Magen wieder bemerkbar. Er stand auf und eilte weiter. Die Straße war nun voller Menschen, die zur Arbeit gingen und sich gegenseitig Grüße zuriefen. Kaum hatte sich Ranofer an die Schule erinnert, sah er auch schon überall Hieroglyphen: da auf einer Türschwelle einen Henkelkorb – ein „K“; dort kleine Wellen – „N“; der Geier oben am Himmel über den langsam dahinziehenden Booten symbolisierte den Knacklaut „’A“. Auch die Boote und die aufgehende Sonne, das Amulett an seinem Handgelenk und der Käfer im Staub bildeten Zeichen, die er einmal auf seiner Tontafel gezeichnet und gelernt hatte. Er hatte zwar nichts vergessen, aber vielleicht sollte er doch wieder üben und die Hieroglyphen jeden Abend wiederholen… Heute schien alles möglich. Voller Zuversicht bog er in die Straße der Goldschmiede ein. Gerade kam Heqet, der neue Lehrjunge, noch mit seinem Frühstück in der Hand aus dem Lehrlingshaus gelaufen. Die beiden Jungen blickten sich unsicher an, dann breitete sich auf Heqets stupsnasigem Gesicht ein herzliches Lächeln aus.
    „Möge Ra in dein Leben scheinen, mein Freund.“ Eifrig entbot Ranofer den Gruß: „Möge Ra auch in dein Leben scheinen!“ Heqet trug ihm seine Grobheit von gestern offenbar nicht nach. „Hast du deinen Barren gestern gegossen, ohne etwas zu verschütten?“, fragte er, als sie zusammen zum Goldhaus gingen. „Ja, sozusagen“, antwortete Heqet grinsend. „Um ehrlich zu sein, ich habe nur zugeschaut, wie der Zweite Geselle den Barren goss.“
    „Heute darfst du’s selber machen“, sagte Ranofer. Unweigerlich blieb sein Blick

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