Der goldene Kelch
das habe ich auch mal gelernt, das gibt Kettenglieder.“
„Genau. Diese Glieder legst du auf eine dünne Schicht aus zerstoßener Holzkohle in ein Tongefäß. Auf die Glieder legst du wieder eine Holzkohleschicht, auf die Holzkohle weitere Glieder und so weiter, bis das Tongefäß voll ist. Du verdrahtest den Deckel auf dem Gefäß und erhitzt das Ganze, bis das Gefäß und der Draht röter glühen als das Feuer. Wenn du dann die Holzkohle ausleerst, hast du lauter kleine, runde Goldkörnchen. Ha, bei Amun, das ist wirklich toll!“
„Nach der erste Methode geht es aber bestimmt schneller.“
„Ja, aber die zweite Methode ist lustiger – sagte die Ratte, als sie in den Käse ging und die Falle klaute.“ Heqet grinste. „Natürlich ist es sicherer, mit dem Holzkohleblock zu arbeiten und die Schmelze zu beobachten. Mit dem Tongefäß musste ich es zweimal machen, bis ich die richtige Rotfärbung bekommen habe. Beim ersten Versuch habe ich den Deckel zu früh abgenommen und die Glieder waren noch nicht geschmolzen. Sata hat mich durch die halbe Werkstatt gescheucht! Du könntest das bestimmt, wenn du die Möglichkeit hättest, es zu versuchen.“
„Irgendwann einmal“, sagte Ranofer. Beim bedrückenden Anblick seiner rauen, schrundigen Hände, die Tag für Tag Granitblöcke mit Sandstein polieren mussten, und des inzwischen unvermeidlichen Verbandes an seinen Fingern war er sich jedoch keineswegs so sicher, ob dieses Irgendwann jemals kommen würde. Und er bezweifelte es immer mehr, während die Wochen vergingen und sich in Ranofers Leben nichts änderte außer Gebus Stimmungen. Inzwischen fragte er sich sogar, ob er nicht alles nur geträumt hatte – dass er einmal Goldarbeiter gewesen war, dass er die Goldschmiedekunst von seinem Vater gelernt hatte, dass er bei Rekh gearbeitet und kleine Blätter geschlagen hatte. Es war ihm, als wäre er nun erwacht und würde für immer in einer Welt aus ödem, kaltem Stein leben. Heqet gab ihm alles weiter, was er im Goldhaus lernte, aber je anspruchsvoller Heqets Tätigkeiten wurden, desto komplizierter wurden sie auch und waren dementsprechend schwierig zu beschreiben. Außerdem wurde Ranofer auch langsam klar, dass er seine Kunstfertigkeit nicht ausbilden konnte, indem er Heqet zuhörte; ihm fehlte die praktische Erfahrung.
„Es hat keinen Sinn, ich kann das so nicht lernen“, sagte er schließlich eines Tages zu Heqet. „Könntest du nur dadurch eine Schale treiben, dass dir jemand sagt, wie’s geht? Nein. Du musst den Hammer selbst halten, musst selbst herausfinden, wie die Schläge klingen müssen. Lassen wir’s gut sein, Heqet. Außerdem – je mehr ich über Gold höre, desto verhasster wird mir der Stein.“ Der Alte war neben ihnen gesessen und hatte seine Kerne geknackt. Er hielt inne und sah auf. „Warum hasst du denn die Steinmetzarbeit so, Junge? Es ist ein gutes Handwerk.“
„Gut?“, rief Ranofer voller Verachtung aus. „Das ist etwas für Dummköpfe und Tollpatsche. Deine Hände gehen kaputt, du stumpfst völlig ab und brichst dir Tag für Tag fast das Kreuz…“
Er schimpfte und schimpfte, bis er ganz außer Atem war. Der Alte hörte schweigend zu, knackte seine Ägyptischen Bohnen und nickte von Zeit zu Zeit verständig. „Nun gut“, sagte er, als Ranofer endlich fertig war. „Es ist eine Arbeit für Dummköpfe und Tollpatsche, und du hasst sie. Aber man kann damit seinen Lebensunterhalt verdienen – und nicht zu knapp. Ich – “, mit seinen alten, knotigen Händen entfernte er gründlich das bittere Scheideblatt zwischen den Fruchtkammern und gab Heqet die Kerne, „ich habe nie ein Handwerk gelernt.“ Sein klarer Blick ruhte auf Ranofer. „Mein Vater war Viehtreiber in Unterägypten, ich sein Gehilfe. Wir wanderten hierhin und dorthin. Als er starb und zu den Göttern ging – mögen seine Dreitausend Jahre voller Freude sein –, bekam ein anderer Mann das Vieh, und ich musste mich alleine durchschlagen. Schließlich kam ich nach Theben. Als ich noch jung und stark war, arbeitete ich am Hafen. Wie habe ich die Männer beneidet, die ein Handwerk beherrschten, die jeden Tag in ihre Werkstatt gehen konnten und denen der Lohn am Abend sicher war! Ich dagegen wusste am Abend nicht, wer mich am Morgen anheuern würde. Und denk dran, mein Junge, auch du wirst einmal alt, auch wenn du dir das jetzt noch nicht so richtig vorstellen kannst. Es ist schlecht, ein alter Mann zu sein, der kein Handwerk versteht. Natürlich ist es schade,
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