Der goldene Kelch
Arbeit.
Ist ja auch egal, dachte er. Auf jeden Fall werde ich Djau wieder sehen und ein wenig mit ihm plaudern. Ich werde seine Schmuckstücke sehen und vielleicht kann ich ihm ja auch ein wenig bei der Arbeit zusehen. Das ist doch auch schon was. Gestern hatten die Götter kein Geschenk für mich und morgen werden sie wohl auch keines haben.
Am Abend wartete er vor Abas Töpferei. Heqet kam die staubige Straße entlanggelaufen. Sie gingen gleich los. Während sie sich durch die vielen Thebaner hindurchdrängten, die auf dem Heimweg waren, unterhielten sie sich aufgeregt. Die untergehende Sonne färbte die ausgedörrte, aufgesprungene Erde rot, der Nil war in der Jahreszeit der Trockenheit zu einem rotbraunen Rinnsal zusammengeschrumpft. Dann war er genau das, was man von ihm sagte: das letzte Blutrinnsal aus dem Körper des geliebten, erschlagenen Gottes Osiris. Je näher sie dem Palast kamen, desto weniger Menschen waren unterwegs. Die Straße der Zimmerleute, in die sie vom Flussufer her einbogen, war fast ausgestorben, die Werkstätten schon geschlossen.
„Irgendwo hier müssen wir abbiegen“, sagte Heqet. „Djau lebt in der Straße zum Glücklichen Zufall.“
„Ich weiß.“
„Warst du mit deinem Vater schon mal dort?“
„Ja, aber das ist lange her. Ich kann mich nur noch dunkel erinnern. Ich glaube, es waren hohe Mauern, dahinter sah man Baumwipfel… nein, ob es Bäume gab, weiß ich gar nicht mehr… das Tor war mit einer Rebe überwachsen… Aber an das Zeichen, das in das Gitter am Tor eingearbeitet ist, erinnere ich mich noch genau: ein Halskragen, das Zeichen für Gold.“
Heqet machte große Augen. „Kannst du etwa lesen? Wie ein Schreiber?“
„Ein wenig. Als mein Vater noch lebte, bin ich zur Schule gegangen. Schau, da ist eine Kreuzung!“
„Ja, hier sind wir richtig – auf einer Seite eine Schänke, auf der anderen eine hohe Palme, wie Rekh gesagt hat.“ Als sie die Straße mit den Zimmermannswerkstätten verließen und in die Straße zum Glücklichen Zufall einbogen, beschleunigten sie ihren Schritt. Es war wie in einer anderen Welt; die Straßen war zu beiden Seiten von hohen Mauern gesäumt, dahinter sah man die Wipfel von Palmen und Akazien. Es roch intensiv nach Blumen, die Straße war sauber und ruhig und vermittelte den Eindruck von Wohlstand. Hier lebten in vergleichsweise bescheidenen Häusern jene begünstigten Handwerker, die der Pharao beschäftigte. Weiter unten wurde die Straße breiter, dort standen inmitten von großen Gärten und Weinbergen die Villen der Richter und Beamten, und ganz am Ende der Straße konnten die beiden Jungen eine Ecke der Palastmauern leuchten sehen, rot verfärbt von der untergehenden Sonne. „Da!“, rief Heqet aus. „Hohe Mauern, mit Reben bewachsen. Aber… hier sind alle Mauern mit Reben bewachsen“, fügte er unsicher hinzu. Sie gingen zum Tor und fanden auch tatsächlich das Emblem des Goldhauses. „Das ist es“, flüsterte Ranofer.
„Rekh hat gesagt, wir sollen einfach das Tor öffnen und eintreten.“ Zögernd hob Ranofer den Riegel, öffnete das Tor gerade so weit, dass sie sich hindurchzwängen konnten, und schloss es wieder leise. Da stand Ranofer im Hof, sog den vertrauten scharfen Geruch geschmolzenen Goldes ein und lauschte dem hellen Klang eines kleinen Hammers. All die Schwere der vergangenen schrecklichen Monate fiel von ihm ab. Sie waren in Djaus Goldhaus, nicht in seinem Wohnhaus; das musste hinter den Innenmauern des Hofes liegen. Am Ende des Hofes mit dem Boden aus gestampftem Lehm standen ein paar Schuppen mit Dächern aus Palmwedeln. Die Werkstatt war verlassen, nur im größten Schuppen kniete ein alter Mann auf einer Matte vor einer niedrigen Werkbank. Djau drehte sich um. Zum Gruß und zum Zeichen ihres Respekts legten die Jungen die rechte Hand an die linke Schulter und senkten den Kopf.
„Wer seid ihr?“, fragte Djau; seine Stimme war tief und wohlklingend. „Steht aufrecht, damit ich außer euren Köpfen noch ein bisschen mehr von euch sehen kann!“ Sie gehorchten. „Sei gegrüßt, Erster der Goldschmiede!“, sagte Heqet. „Rekh schickt mich. Ich soll den – “
„ – Pflock holen. Ja, ja, ich erinnere mich. Komm her!“ Heqet ging über den Hof zum Schuppen, Ranofer folgte ihm verträumt, vorbei an kleinen Schmelzöfen, die aussahen wie Körbe und in denen das Feuer langsam verlosch, vorbei an Waagen, Tiegeln und Bottichen. Überall funkelte es golden. Ranofer fühlte den weichen Lehmboden
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