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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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sprang wütend auf; er fühlte sich so gedemütigt, dass er zitterte. Auch Heqet stand auf, Ungeduld und Zorn hatten sein heiteres Gesicht überzogen.
    „Du bekommst zu Hause nicht genügend zu essen. Da kannst du nichts dafür, und ich kann auch nichts dafür. Deshalb musst du nicht auf mich wütend sein. Also komm schon! Ich habe wirklich genügend. Wir teilen und vergessen die ganze Sache. Es ist doch Unsinn, sich zu streiten.“
    „Es ist Unsinn, Mitleid mit Freunden zu haben, die dein Mitleid nicht brauchen!“, schrie Ranofer. „Bei Osiris, dem Barmherzigen!“, ertönte eine sanfte Stimme durch die Stauden. Ranofer fuhr herum. Es war der Alte. Er hielt den dünnen Vorhang aus Binsen auseinander, der ihren Platz vom Pfad trennte. Hinter dem Alten erschien Lotos, der Esel mit den sanften Augen. „Gibt’s hier demnächst eine Schlägerei?“, erkundigte sich der Alte. „Ich würde gerne zusehen. Eine richtige Schlägerei von Zeit zu Zeit – das ist nicht zu verachten.“
    „Nein, wir schlagen uns nicht“, murmelte Ranofer. „Wir sind Freunde.“
    „Oh, Freunde seid ihr! Das hätte ich nicht gedacht.“ Der Alte hob erstaunt seine buschigen Augenbrauen. „Komisch – als ich jung war, lachten Freunde zusammen und redeten friedlich miteinander. Nur Feinde starrten sich wütend an, ballten die Fäuste und schrien. Aber, nun ja, die Zeiten ändern sich.“ Er seufzte und zuckte gelassen mit den Schultern wie ein Philosoph. Heqet brach in lautes Lachen aus, auch Ranofer konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    „Sei du unser Richter, Gevatter“, schlug Heqet vor. „Dieser Junge hat mehr Stolz im Leib als der Pharao. Er will nichts annehmen, dabei wissen wir beide, dass er es braucht und dass er es auch möchte.“
    „Was soll er denn annehmen?“, fragte der Alte und schürzte nachdenklich die Lippen. „Essen. Sieh ihn dir doch an, man kann seine Rippen zählen. Doch er will, dass ich mich hier wie eine Made durch Käse, Fisch, Brot und Feigen fresse, während er an einer vertrockneten Zwiebel knabbert. Würde ein Freund Gefallen daran finden, mir den Appetit zu verderben?“
    Ranofer starrte ihn an. „So denkst du darüber?“
    „Ja, so denke ich darüber.“ Heqet kickte trotzig eine Feige weg, die zwischen den anderen Sachen auf dem Boden lag. „Wenn du nicht die eine Hälfte isst, esse ich die andere Hälfte auch nicht.“
    „Ich habe nicht gewusst, dass ich dir dadurch den Appetit verderbe“, sagte Ranofer leise.
    Der Alte kicherte. „Wie ich sehe, kommt ihr auch alleine zurecht. Ihr braucht keinen Richter. Aber wärt ihr so nett, mich in eure Laube zu lassen? Es war immer das Plätzchen von meinem Lotos. Ich habe übrigens auch etwas zu essen dabei.“
    „Komm rein!“ Ranofer trat zur Seite. „Das war der Platz von deinem Esel?“
    „Ja, hier hat er sich immer gewälzt. Wie soll so ein hübsches kleines Nestchen denn sonst entstehen? Er hält sein Nickerchen, und ich esse mein Brot. Aber keine Sorge, er kann leicht ein anderes Plätzchen finden – so leicht, wie du deinen Käse essen kannst.“ Der Alte lächelte Ranofer verschmitzt zu und hockte sich auf den Boden. „Nun lasst uns handeln“, sagte er und zog ein Bündel aus seinem Gürtelband. „Ich tausche eine Feige oder zwei gegen meine Bohnen – bessere habt ihr nie gegessen!“
    „Abgemacht!“ Heqet, der das Essen in zwei Portionen geteilt hatte, reichte ihm seine Feige. Ranofer mochte Ägyptische Bohnen auch, aber Feigen waren die Speise der Götter und für Ranofer so selten wie Regen in Ägypten. Daher zögerte er so lange, bis der Alte schnell hinzufügte: „Eine Feige oder etwas anderes.“
    „Vielleicht ein Fladen?“, schlug Ranofer unsicher vor. Er konnte noch immer kaum glauben, dass das nun sein Fladen war und dass er ihn auch eintauschen konnte. „Ein halber Fladen, das ist gerecht.“ Der Alte entknotete ein Bündel mit Zwiebeln und Salzfisch und legte die Feige und den halben Fladen feierlich daneben. Dann holte er aus einer anderen Falte seines Gürtels die kegelförmige Frucht der Lotosblume. Die Spitze trug um die fünfundzwanzig Samenkapseln, jede so groß wie ein Daumennagel. Sie knackten die Kapseln und holten die süßen weißen Kerne unter dem bitteren grünen Scheideblatt hervor, das die beiden Fruchtkammern trennte. Die Bohnen waren für Ranofer die Vollendung eines Festmahls, das einem Pharao und seinem ganzen Hofstaat würdig gewesen wäre. Heqet schien seine Portion vor allem deshalb zu

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