Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
Vom Netzwerk:
Perlen! Die Versuchung war zu groß. „Also gut, morgen Mittag. Ich komme.“ Ich muss etwas zu essen besorgen, dachte Ranofer, als er nach Hause eilte. Ich werde etwas vom Abendessen und etwas vom Frühstück abknapsen. Vielleicht lässt mir Gebu ausnahmsweise mal zwei Fladen übrig. Aber Gebu gab ihm wie üblich nur einen Fladen. In der düsteren Vorratskammer fand Ranofer jedoch noch drei Zwiebeln. Überglücklich steckte er eine Zwiebel und den halben Fladen in sein Gürtelband. Doch nachdem er den Rest gegessen und Wasser getrunken hatte, war er noch genauso hungrig wie zuvor. Die Vorratskammer war wie immer vom verlockenden Duft des Salzfischs erfüllt, den Gebu in einem versiegelten Fässchen aufbewahrte. Ranofer inspizierte das Fässchen für den Fall, dass es ausnahmsweise einmal offen sein sollte, aber wie immer klebte ein frisches Lehmsiegel mit dem Abdruck von Gebus Ring am Deckel. Er ging in den Hof und befühlte den halben Fladen in seinem Gürtelband. Bis zum Mittag war es noch lange hin, das morgige Mittagessen wurde in Anbetracht seines knurrenden Magens unwichtig.
    Ich esse die Hälfte des halben Fladens, entschied er, die Zwiebel bewahre ich auf.
    Aber bevor er einschlief, verdrückte er auch noch die halbe Zwiebel. Am nächsten Morgen stand ein Teller mit gedünsteten Linsen auf dem Regal in der Vorratskammer. So was! Wie sollte er denn die Hälfte der Linsen in sein Gürtelband wickeln? Er ärgerte sich, dass er in der letzten Nacht schwach geworden war, aß die Linsen und machte sich mit dem Viertel Fladen und der halben Zwiebel auf den Weg zur Arbeit. Ein üppiges Mittagessen würde er da unter Heqets ohnehin schon mitleidigem Blick auspacken!
    Ich könnte ja unterwegs eine Lotoswurzel ausgraben, überlegte Ranofer, vergaß aber, dass er kein Messer hatte und dass ihm außerdem der strenge Anisgeschmack der Lotoswurzel immer eine leichte Übelkeit verursachte.
    Die Suche nach dem Lotos kostete ihn wertvolle Zeit seiner Mittagspause. Heqet wartete schon in der Laube und sah reumütig auf, als Ranofer schließlich mit einer schlammigen Wurzel in der Hand ankam. „Ich habe heute Morgen doch keine Perlen gegossen“, sagte er. „Ich musste Holzkohle machen. Tut mir Leid. Aber es wird bestimmt bald so weit sein, dann sage ich dir, wie’s geht.“
    „Macht doch nichts“, sagte Ranofer und verbarg die herbe Enttäuschung, die er empfand. Er setzte sich neben seinen Freund und schielte auf das goldgelbe Stück Käse, die zwei Fladen, den Salzfisch und die Feigen, die Heqet auf seinem Schoß ausgebreitet hatte. „Ich habe schon das meiste auf dem Weg hierher gegessen“, sagte er beiläufig und versuchte, Heqets Blick auszuweichen; er fragte sich, warum ihm diese Ausrede nicht schon früher eingefallen war. Er biss in das harte Brot und die halb vertrocknete Zwiebelhälfte, die er aus seinem Gürtelband gezogen hatte. Das karge Mahl war in verräterisch kurzer Zeit beendet, danach widmete er sich der Lotoswurzel. Er wischte sie an den niedergetrampelten Gräsern ab und fragte sich, wie er sie wohl schälen und schneiden sollte.
    „Ich mag keinen Käse“, sagte Heqet plötzlich. „Wenn sie uns doch im Lehrlingshaus mal etwas anderes geben würden! Lotoswurzeln bekommen wir zum Beispiel nie, und wenn, dann gekocht; dabei mag ich sie roh viel lieber. Du auch?“
    „Ich mag überhaupt keine Lotoswurzeln“, erwiderte Ranofer, erstaunt über seine Aufrichtigkeit. „Und du magst wirklich keinen Käse?“
    „Wirklich nicht. Komm, lass uns tauschen!“ Ranofer reichte ihm die Wurzel, noch bevor Heqet zu Ende gesprochen hatte. Seit Vater gestorben war, hatte er keinen Käse mehr gegessen. „Ich habe leider kein Messer, um die Wurzel zu schneiden“, gab er zu. „Ich hab eins. Möchtest du auch ein Stück Fisch? Und eine Feige? Ich habe mehr, als ich essen kann.“ Ranofer hielt den Atem an. Er konnte sein Glück kaum fassen. Es war wie ein Traum. Aber gerade als er nach dem Fisch greifen wollte, den Heqet ihm reichte, zog er seine Hand zurück. „Du hast gar nicht mehr, als du willst!“, sagte er aufgebracht. „Und es stimmt auch nicht, dass du keinen Käse magst. Du lügst!“
    Heqet sah Ranofer einen Moment lang ruhig an, bevor er ein wenig verlegen grinste. „Stimmt. Aber du hast auch gelogen, als du gesagt hast, du hättest das meiste schon auf dem Weg hierher gegessen. Deinem Blick nach könnte ich schwören, dass du alles vom Abendessen abgeknapst hast.“
    „Und wenn schon?“ Ranofer

Weitere Kostenlose Bücher