Der goldene Kelch
dass du Steine behauen musst, anstatt Gold zu bearbeiten, aber das ist immer noch besser, als gar kein Handwerk zu lernen. Streng dich also trotzdem an!“
„Aber… aber…“, stammelte Ranofer, „ich dachte, du… du hast den Esel und das kleine Haus am Rand der Wüste!“
„Ich beklage mich ja nicht“, entgegnete der Alte grinsend. „Aber das Haus und den Esel hatte ich nicht immer. Vielleicht hältst du mich für einen komischen, alten Kauz, aber ich weiß, wovon ich rede, mein Junge. Denk drüber nach!“
Er hat Recht, sagte sich Ranofer, als er zur Werkstatt zurückging. Aber er hatte einfach keine Liebe für seine Arbeit und kein Interesse daran, mehr über das Steinmetzhandwerk zu lernen, als er musste. Eines Tages – die Sonne brannte und die Luft flirrte von der Hitze, die Haut war so trocken, dass sie spannte und sich anfühlte, als wollte sie aufspringen wie die ausgedörrte Erde –, eines Tages kam Heqet in großer Aufregung angelaufen.
„Ranofer!“, keuchte er und warf sich neben seinem Freund ins Gras. „Morgen soll ich zu Djau, dem Meister, gehen, um einen Formpflock zu holen, hat Rekh gesagt. Aber er hat nicht gesagt, dass ich alleine gehen soll. Willst du mitkommen?“
„Aber… aber das geht doch nicht!“, stotterte Ranofer aus lauter Aufregung und kämpfte gegen seinen sehnlichsten Wunsch an. „Ich muss doch den ganzen Tag arbeiten.“
„Ich gehe erst am Abend.“
„Dann ja! Es sei denn, Pai hält mich wieder mit irgendeiner stumpfsinnigen Arbeit auf. Na ja, ich werde ihm aus dem Weg gehen und gleich verschwinden, wenn der erste Arbeiter den Hammer aus der Hand legt. Was für einen Formpflock sollst du denn bei Djau holen?“
„Einen eigenen Entwurf von Djau, den er auch für die Goldmasken der Toten verwendet. Der Pflock ist gesprungen, und er hat einen neuen bestellt. Rekh darf den alten benutzen und ihn nachbilden lassen.“
„Djau ist nicht nur großartig, er ist auch großzügig.“
„Rekh ist mit der Frau von Djaus Bruder verwandt. Du kommst also wirklich? Treffen wir uns bei dem großen Baum vor Abas Töpferei und gehen zusammen zu Djau? Seine Werkstatt ist in der Nähe vom Palast.“
„Ich weiß. Ja, ich komme. Und vielen Dank!“ Mit der Aussicht auf einen Besuch bei Djau am Abend verging für Ranofer der nächste Tag noch langsamer als sonst. Ganz in Gedanken an die wunderschönen Goldarbeiten, die er bei Djau sehen würde, schlug er sich wegen eines schlecht platzierten Meißels zweimal auf die Finger.
Ich werde mit Djau sprechen, ganz ernst, von Angesicht zu Angesicht, dachte er den ganzen Tag über. Er wird mich fragen, wie es mir geht, und ich werde ihm alles erzählen, aber alles der Reihe nach und nur, wenn er danach fragt. Ich werde nicht lossprudeln wie ein Irrer. Sonst denkt er vielleicht noch, ich bettle um sein Mitleid. Nein, bei Amun, das darf nicht sein! Ich werde nur seine Fragen beantworten, ich werde bescheiden und stolz sein wie mein Vater. Aber er wird alles erfahren, alles über Gebu und über den Diebstahl. Ich werde ihm auch sagen, dass ich nicht mehr zu Rekh gehen darf und stattdessen mit diesen verfluchten Steinblöcken arbeiten muss. Djau wird die Stirn runzeln. „Das ist ja schlimm“, wird er sagen, „eine Ohrfeige für die Götter, dass der Sohn von Thutra, dem Goldschmied, als Lehrjunge bei einem Steinmetz arbeiten muss.“ Und er wird sich an meine kleinen Becher und Armbänder erinnern, er wird sich erinnern, dass sie mit außergewöhnlicher Kunstfertigkeit gemacht worden waren. Beim Gedanken daran, dass ich meine Hände kaputtmache und meine Zeit verschwende, wird er ganz entsetzt sein, er wird zu Gebu gehen und ihn bitten, mich gehen zu lassen, damit er mich zum Schüler nehmen kann.
Ranofers Tagträume hatten jedoch nicht mehr die Kraft von einst. Seine Gedanken versandeten in der steinharten Wirklichkeit, die sie umkreiste und schließlich zerstörte. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen konnte er sich vorstellen, dass es Gebu auch nur das Geringste scherte, was Djau dachte oder sagte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass er Djau von dem Diebstahl erzählte, und noch viel weniger wusste er, wie er Djaus Schüler werden sollte, ohne einen Platz zum Leben und Geld für die Ausbildung zu haben. Da könnte ihn Djau noch so herzlich einladen, aber Djau würde ihm genauso wenig einen Esel schenken wie Gebu.
Da sprang Pai mit vorgerecktem Kinn und erhobenem Stock auf ihn zu. Schnell beugte er sich über seine
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