Der goldene Kelch
gestohlen.
„Weil du vielleicht nicht geschickt genug warst?“
„Nein, Meister.“
„Nicht begabt genug?“
„Nein, ich…“
„Oder nicht fleißig genug? Die Goldarbeit ist nichts für Faulenzer.“
„Ich könnte mir nichts Schöneres im Leben vorstellen, als jeden Tag mit Gold zu arbeiten, Meister. Es hatte nichts mit mir zu tun, ich wollte nicht gehen, ganz bestimmt nicht! Aber… aber Gebu…“ Ranofer geriet wieder ins Stottern und brach schließlich ab. Djau legte den Hammer aus der Hand und drehte sich zu Ranofer. Er legte seine schmalen, kräftigen Hände auf die Knie und schaute Ranofer prüfend an. „Du verschweigst mir etwas.“
„Ich… ich kann es niemandem erzählen, Meister.“ Nur dem Alten, aber der zählte nicht.
Djau überlegte einen Moment, dann fragte er: „Warum hast du dann überhaupt angefangen, mir etwas zu erzählen?“
„Weil… weil… ein Tag, bevor Vater starb, hast du die kleinen Sachen gesehen, die ich gemacht habe, und du hast gesagt, ich sei geschickt, und dann hast du gesagt: Vielleicht wenn er älter ist…“
Djau betrachtete Ranofer eine Weile aufmerksam und nahm dann wieder seinen Hammer zur Hand. Über die Hammerschläge hinweg sagte er ruhig: „Du möchtest also mein Schüler werden?“
„Ich wünsche es mir so sehr! Wer würde sich das nicht wünschen? Aber ich kann die Gebühr nicht bezahlen. Gebu nimmt alles Kupfer, das ich als Steinmetzjunge verdiene, und sonst habe ich nichts.“
Kling, kling, kling, machte der kleine Hammer. „Ich nehme keine Lehrjungen, Ranofer.“
„Ich weiß, Meister“, flüsterte Ranofer fast unhörbar. „Ich verlange nichts. Ich wollte dich nur wieder sehen und dir ein wenig bei der Arbeit zusehen, wenn ich darf.“
Warum hatte er Djau das erzählt? Djau konnte doch auch nichts dagegen tun. Niemand konnte etwas tun. Ranofer kam sich vor wie ein Dummkopf. Er fühlte sich miserabel.
„Ich kann mich an deine Arbeiten erinnern“, sagte Djau plötzlich. „Mein Freund Thutra hat mir einmal einen Henkelbecher und zwei Armbänder von dir gezeigt. Bei einem Armband hast du dich übernommen.“ Er hielt inne, um den Hammer anders zu halten. Mit einem kritischen Blick über seine Schulter fuhr er fort: „Du hattest noch nicht genug Erfahrung, um ein Spiralmuster zu treiben.“ Sein strenger Blick verweilte einen Moment auf Ranofer, dann wandte er sich wieder der goldenen Biene zu. „Das andere Armband war ganz ordentlich. Der Becher auch. Ja, wirklich sehr ordentlich. Lobenswert.“
„Danke, Meister!“ Das unerwartete Lob trieb Ranofer die Röte ins Gesicht. Vor zwei Minuten war er noch todunglücklich gewesen, jetzt schwamm er im Glück. Djau betrachtete aufmerksam den Bienenflügel, er schien zufrieden. Mit dem Halskragen in der Hand drehte er sich um und widmete nun seine ganze Aufmerksamkeit dem Jungen. „Thutra und ich waren zwanzig Jahre lang Freunde, und ich möchte diese Freundschaft nicht verraten, indem ich mich vom Unglück seines Sohnes abwende. Aber…“, er hob leicht überheblich seine lichten Augenbrauen, „ich würde diese Freundschaft trotzdem verraten, wenn der Becher und das Armband schlampig gewesen wären. Das hier ist eine Goldschmiede, kein Waisenhaus.“
„Natürlich, Meister“, sagte Ranofer demütig. „Aber der Becher und das Armband waren ordentlich und viel versprechend. Ich möchte dir helfen, Ranofer. Du kannst als Schüler zu mir kommen und du musst nichts bezahlen. Aber du darfst den anderen Schülern nichts davon erzählen.“
Als ob ihm plötzlich Flügel gewachsen wären! Ranofers Herz hüpfte vor Freude, rutschte ihm aber gleich darauf in die Kniekehlen.
„Ich kann nicht dein Schüler werden, Meister. Ich bin nicht frei“, flüsterte er. „Ich bin doch Lehrjunge bei Gebu.“
„Dann löst du eben deinen Lehrvertrag.“
„Das geht nicht.“
„Unsinn! Natürlich geht das. Wenn du gute Gründe hast, kannst du dich jederzeit von deinem Meister trennen. Das ist eine einfache Amtshandlung. Jeder Schreiber kann dir das Papier aufsetzen“, erklärte der alte Mann ruhig.
Ranofer stand mit hängendem Kopf da wie ein Frevler, seine Wangen glühten vor Scham. „Gebu bringt mich um, wenn ich das tue. Oder er verkauft mich. Ich muss doch auch essen. Und ich habe nur das, was Gebu mir gibt.“
Djau betrachtete eine Weile den Halskragen in seiner Hand, dann stand er auf und trug ihn zu einem kleinen Schmelzofen mit Esse, in dem noch ein Feuer glomm. Er blies durch das Lötrohr
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