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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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die Werkstatt!“
    „In Gebus Werkstatt?“
    „Ja. Wir sollten uns besser verstecken.“ Sie kauerten sich in den Schatten einer Hauses und warteten schweigend. Weiter unten in der staubigen Straße standen Gebu und Wenamun vor dem Tor der Werkstatt. Nach einer Weile gingen sie hinein. „Ob das wohl ihr Treffpunkt ist?“, flüsterte Heqet. „Vielleicht kommt Setma auch.“
    Aber Setma kam nicht. Nach einer Weile sah man eine Fackel in der Werkstatt aufleuchten; der Schein wanderte langsam von einem Punkt zum anderen und verweilte eine Zeit lang im Lager mit den Papyrusrollen, dann huschte er zu dem Platz, wo der Sarkophag des Richters stand.
    „Es ist bestimmt nur etwas Geschäftliches“, vermutete Ranofer enttäuscht. „Der Eingang zur Grabkammer des Richters ist zu schmal für den Sarkophag – oder andersherum, der Sarkophag ist zu breit. Ich habe gehört, wie Gebu es einmal erwähnte. Sicherlich besprechen sie das jetzt. Nichts mit Golddiebstahl!“
    Heqet seufzte. Nach ein paar Minuten sagte er dann matt: „Nun, wir haben heute getan, was wir tun konnten – sagte eine Heuschrecke zur anderen. Vielleicht morgen.“
    Die Jungen trennten sich. Wieder war nichts passiert. In den folgenden Wochen stieg der Nil stetig an. Trotz der anhaltenden Hitze war die sengende Glut, die dem Tod des Osiris gefolgt war, aus Ägypten gewichen, und die Freude über die Wiedergeburt des Gottes war in den Worten, den Bewegungen und den strahlenden Augen der Menschen zu spüren. Die Schifffahrt wurde wieder aufgenommen, der Alltag fand zu seinem alten Rhythmus zurück.
    Natürlich teilte auch Ranofer die Erleichterung seiner Landsleute über das Ansteigen des Flusses, sein Leben änderte sich jedoch nicht. Ranofer und Heqet setzten ihre Beschattungen fort und hielten sich gegenseitig auf dem Laufendem, der Alte stieß zu ihnen, so oft es ging. Er konnte jedoch nicht mehr so oft in die grüne Laube kommen, weil er nun in einem entfernteren Teil des Sumpfes Papyrus schneiden musste; es war die Zeit des Bootsbaus und der Reparaturen, und die Seiler verlangten täglich nach größeren Ladungen. Trotzdem erschien sein runzliges Gesicht hin und wieder hinter dem Vorhang aus Gräsern. Mit einem fröhlichen Kichern und einem „Na, in letzter Zeit zufällig eine Hinrichtung gesehen?“ gesellte er sich zu ihnen und teilte mit ihnen sein Essen. Hin und wieder behielt er auch Setma im Auge, der wieder seine Fahrten nilaufwärts und nilabwärts aufgenommen hatte. Mit seinen gespielt wichtigtuerischen Berichten brachte der Alte die Jungen immer wieder zum Lachen, aber am Ende hatte auch er nie etwas herausgefunden. Wahrscheinlich lag es daran, dass es gar nichts herauszufinden gab, überlegte Ranofer.
    Er kam bald zu der Überzeugung, dass diese Beschattungen nichts brachten. Nie hatte sich Gebu unverdächtiger benommen als gerade jetzt, und nie war ein Mann seinem Hof und seiner meckernden Frau so treu gewesen wie Wenamun. Von Zeit zu Zeit trafen sich die beiden bei Mutra oder sie studierten in der Steinmetzwerkstatt die Rollen und sprachen endlos über die Pläne. Keiner der beiden kam in die Nähe eines Goldhauses oder schien auch nur entfernt mit einem Goldarbeiter bekannt zu sein. Gebu stahl nicht. Er lebte das normale Leben eines Steinmetzes. Zweifellos hatte der Pharao wirklich für den Tempelausbau mehr bezahlt als gewöhnlich. Und welche Erklärung es auch immer für die nicht enden wollenden Anzeichen von Reichtum in Gebus Leben gab – sein Vermögen verdankte er jedenfalls nicht gestohlenem Gold.
    So dachte Ranofer, und er konnte keinen Fehler in seinem Gedankengang finden, so sehr er es sich auch wünschte.
    Doch eines Nachts wurde er wieder von der knarzenden Tür geweckt. Er lag still und lauschte Gebus verstohlenen Schritten auf der Stiege und auf dem Hof. Ranofer lief es eiskalt den Rücken hinunter, als er das leise Klicken des Hoftors hörte, und er wusste, nun war Gebu da draußen in der Dunkelheit unter den namenlosen Dämonen der Nacht auf dem Weg zu einem seiner heimlichen Geschäfte. Was mochten das für Geschäfte sein, dass er sich dafür sogar den Kheftiu aussetzte? Was war daran so furchtbar wichtig für Gebu? Denn soweit Ranofer wusste, war für Gebu nichts wichtig außer Gold. Außer Gold!
    Ranofer fuhr auf. Er starrte in die Dunkelheit. Gold. Natürlich! Es ging um Gold. Warum, bei Amun, hatte er das nicht früher gemerkt? Der Dieb war wieder auf Beutezug. Die knarzende Tür war die Antwort auf alle Fragen.

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