Der goldene Kelch
Hause ging. Er schlich in eine Gasse und rannte, so schnell er konnte, zu einer Kreuzung, von der eine andere Gasse in die Straße zum Krummen Hund führte. Als er dort angekommen war, sah er Gebu in einiger Entfernung in der Dunkelheit nahen. Mit fliegenden Schritten lief er zum Hoftor, öffnete und schloss es kaum hörbar, warf sich ganz außer Atem und mit klopfendem Herzen auf seine Matte unter der Akazie und tat so, als schliefe er. Kurz darauf kam Gebu. Laut schlug er das Hoftor zu und ging hinauf in sein Zimmer.
Ranofer atmete auf. Die Ereignisse des Abends hatten ihn ziemlich entmutigt. Wenn das nun eine Beschattung war, so war sie alles andere als aufregend. Wozu sollte es gut sein, zusammengekauert unter einem Boot zu hocken und die Tür einer Schänke zu beobachten? Und dass es langweilig war, machte es nicht ungefährlicher! Aber es war schließlich der erste Abend. Ich muss weitermachen, nahm er sich vor und legte sich auf seiner Matte bequemer hin. Vielleicht geht Gebu ja morgen woanders hin, vielleicht trifft er jemanden und tut etwas Verdächtiges. Vielleicht haben sich auch Wenamun und Setma heute Abend getroffen. Dann hat Heqet morgen viel zu erzählen. Mit diesen Gedanken schlief er ein.
10
Am nächsten Mittag war Ranofer der Erste in der Laube. Gleich darauf kam auch schon Heqet. „Was gibt’s Neues?“, fragte Ranofer noch ganz außer Atem.
„Eine ganze Menge!“ Heqet setzte sich. Während er erzählte, teilte er das Essen. „Ich habe einen ganz tollen Platz gefunden, um Wenamuns Haus zu beobachten. Er lebt ja in der Nähe seiner Werkstatt in der Straße der Maurer, einer Parallelstraße zur Straße der Goldschmiede. Und hinter dem Lehrlingshaus ist eine Gasse – “
„Seid gegrüßt, meine Herren Spione! Na, in letzter Zeit zufällig eine Hinrichtung gesehen?“ Das Gesicht des Alten erschien hinter dem Vorhang aus Gräsern. Mit gespielter Verschlagenheit ließ er sein Auge von Ranofer zu Heqet rollen.
„Sei gegrüßt, Gevatter! Komm rein und hör zu! Heqet hat uns einiges zu erzählen. Erzähl weiter, Heqet!“
„Also, da ist eine Gasse hinter dem Lehrlingshaus, die wiederum auch hinter Wenamuns Haus vorbeiführt. Das habe ich gestern entdeckt, als ich ein wenig die Gegend erkundete. Und in dieser Gasse steht nicht weit von Wenamuns hinterer Hofmauer eine alte Dumpalme.
Von dort aus kann ich direkt in seinen Hof sehen. Er hat eine Frau mit einem Organ wie eine Hyäne.“ Der Alte kicherte. Aufgeregt rückte Ranofer näher an Heqet heran. „Weiter! Was hast du gesehen?“
„Wenamun kam von der Arbeit nach Hause. Seine Frau brachte ihm Gerstenbier und trug ihm das Abendessen auf – gepökelte Ente, Brot und Zwiebeln –, dabei hat sie die ganze Zeit gemeckert. Danach aß sie auf, was er übrig gelassen hatte.“
„Ist er nach dem Essen ausgegangen?“
„Nein, er war den ganzen Abend über im Hof.“
„Aha. Hat er Besuch bekommen?“
„Nein. Er hat gar nichts gemacht; er saß einfach nur da. Aber ich konnte ihn gut sehen, ich habe ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen. Heute Abend passiert bestimmt was, und ich werde alles von der Palme aus sehen! Ein guter Ausguck ist Gold wert.“
„Ja, da hast du Recht“, stimmte ihm Ranofer zu, er konnte jedoch nicht so viel Begeisterung aufbringen, wie Heqet offenbar erwartete. Heqets Geschichte unterschied sich nicht sehr von seiner eigenen. Kurz, es war überhaupt nichts passiert.
„Und du, Gevatter?“, fragte Heqet. „Hast du Setma gestern Abend gesehen?“
„Ja, mein Junge. Er war beim Seiler, als Lotos und ich unseren Papyrus ablieferten. Ich habe ihn eine Weile beobachtet. Er kaufte ein, aß und ging in eine Schänke. Dann watete er durch den Schlamm zu seinem Boot und ging an Bord. Ausgeschlossen, dass er nach Abydos oder sonst wohin fuhr. Kein Boot kann sich bewegen, bevor Osiris aufersteht und den Nil wieder zum Leben erweckt. Vielleicht hat er später eine paar Kheftiu in seiner Kabine empfangen, das habe ich allerdings nicht mehr gesehen. Lotos und ich sind nach Hause gegangen, um unsere alten Knochen auszuruhen.“ Also auch nichts.
Was kann man nach einem Abend schon erwarten?, fragte sich Ranofer wütend. Geduld muss man haben! Diese Dinge brauchen Zeit. Vielleicht passiert heute ja etwas. Oder morgen.
Aber auch am nächsten Tag und am übernächsten Tag passierte nichts. Eine ganze Woche verging, ohne dass Gebu oder Wenamun mehr getan hätten, als abends nach dem Essen in eine Schänke zu
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