Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
Vom Netzwerk:
dem Kelch erzählen, noch nicht, vielleicht nie.
    „Oh, du bist’s! Ich… ich konnte heute nicht kommen“, stammelte er. „Es ist schon spät, ich… ich muss zurück zur Werkstatt. Sag Heqet, ich komme ein anderes Mal.“ Er versuchte, an dem Alten vorbeizugehen, aber der Alte packte ihn am Arm.
    „Heqet ist schon wieder weg, mein Junge. Ich habe gewartet und gehofft, du würdest kommen. Ich habe nämlich etwas zu erzählen. Hi hi!“ Der Alte kicherte. Ranofer richtete plötzlich seine Aufmerksamkeit auf ihn. „Ich war wieder mal spionieren, dabei habe ich es eigentlich gar nicht vorgehabt, ja, ja, und dieses Mal habe ich wirklich etwas gesehen.“
    „Etwas gesehen?“, wiederholte Ranofer. Den Kelch? Kann er den Kelch gesehen haben? Weiß der Alte etwa, wo er ist?
    „Ich habe einen heftigen Streit beobachtet.“ Ranofer, der schon den Mund aufgemacht hatte, um ohne Umschweife nach dem Kelch zu fragen, schloss ihn wieder. Der Alte nickte verschwörerisch und blinzelte ihm mit seinem einen Auge zu. „Komm, ich muss ein Auge auf Lotos haben, während ich dir alles erzähle.“ Kichernd führte er Ranofer auf den Weg, wo der alte Esel verdrossen schnaubend in dem vertrockneten Graben nach einem grünen Blatt suchte. „Setma und Gebu haben sich gestritten, erst vor einer Stunde, am Rande des Papyrussumpfs in der Nähe der Fischerkais. Keine drei Ellen von ihnen entfernt schnitt ich gerade meine tägliche Ration; wegen der Stauden konnten sie mich nicht sehen. Ha! Die haben sich vielleicht angefaucht! Es hatte nicht viel gefehlt, und sie hätten sich auch noch geprügelt! Schade, dass sie es nicht getan haben – das wäre wirklich ein Genuss gewesen. Nicht wahr, mein Junge?“
    „Hast du verstanden, was sie sagten? Worüber haben sie denn gestritten, Gevatter?“
    „Über Gold, mein Junge. Was sonst? Wenn sich zwei Halunken streiten, geht es immer um die Bezahlung für irgendeine Gaunerei, die der eine für den anderen anstellt. Unser kleiner Schlaumeier Heqet hat wahrscheinlich Recht: Setma hat bestimmt Gebus Diebesgut transportiert und in einer anderen Stadt verkauft. Aber damit ist es nun zu Ende.“
    „Zu Ende? Was hast du denn noch gehört, Gevatter?“
    „Sie haben geflüstert. Sie haben sich angefaucht, angespuckt und angeknurrt, aber alles mit gedämpfter Stimme. Ich habe nur ein paar Worte verstanden. ,Nie!’, das war Gebu. ,Gefährlich!’ oder ,Gefahr’, das war Setma. Dann hat Gebu gesagt: ,Du bekommst ein Drittel, mehr nicht. Auf keinen Fall!’ Dann haben sie sich wieder angefaucht und angefahren und sich gegenseitig alles Mögliche geheißen, und dann habe ich nichts Wichtiges mehr gehört, bis sich Gebu wütend abwandte und zum Rand des Sumpfes ging. Er stand so nah bei mir, dass ich ihn hätte berühren können. ,Du bist raus aus dem Geschäft!’, sagte er. ,Es gibt auch noch andere Fluss-Schiffer!’ Ich stand da und regte mich nicht. Dann ging er an mir vorbei zu den Kais. Als ich mich wieder umdrehte, war auch Setma weg. Ich war also beide los.“
    „Die Sache ist klar“, sagte Ranofer, als der Alte geendet hatte.
    „Ja, sie haben sich getrennt. So viel ist sicher. Setma hat bestimmt den Preis erhöht und für Gebu fiel nicht mehr viel ab.“
    Aber was war mit dem Kelch?, dachte Ranofer. Was hat Gebu mit dem Kelch vor? „Hatten sie… hatte Gebu etwas bei sich?“, fragte er vorsichtig. „Etwas bei sich? Oh, du meinst Gold. Nein, ich glaube nicht. Kein Sack, kein Paket. Ich habe nichts dergleichen gesehen. Natürlich versperrten mir die Stauden teilweise die Sicht. Gebu trug allerdings etwas unterm Arm, aber das sah aus wie ein Bündel alter Kleider, weiter nichts.“
    „Ich… verstehe“, brachte Ranofer mit Mühe heraus. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Ein Bündel alter Kleider wie er es letzte Nacht in der Truhe entdeckt hatte? Ein paar alte Schendjtiu, in die der goldene Kelch gewickelt war?
    Er verabschiedete sich vom Alten, der in den Papyrussumpf zurückging, und lief in die Werkstatt. Gebu war nicht da. In einem beiläufigen Gespräch mit Djahotep erfuhr Ranofer, dass er auch in der Pause nicht gekommen war. Ranofer schwirrte der Kopf vor lauter Fragen, auf die er keine Antwort wusste, und hielt ständig nach Gebu Ausschau, aber der ließ sich den ganzen Tag über nicht blicken. Am Abend eilte Ranofer nach Hause, auch dort war Gebu nicht. Seine Tür war immer noch geschlossen und unversiegelt.
    Und wenn Gebu nun für immer verschwunden war?, überlegte Ranofer auf

Weitere Kostenlose Bücher