Der goldene Kelch
dem Weg zu den Vorratskammern. Nein, bestimmt nicht! Nicht, so lange er noch mehr stehlen und noch reicher werden konnte. Schließlich war das Tal der Könige voller Schätze! Schaudernd betrat er die Kammer. Wenn Gebu doch nur gefasst würde! Wenn ihn doch nur eine Wache ins Tal der Könige schleichen sah – oder wie er mit gestohlenem Gold von dort kam! Oder auch jetzt, wo er mit diesem Bündel unterm Arm durch die Straßen ging… Vielleicht hatte ihn ja schon jemand geschnappt! Das war immerhin möglich. Das würde erklären, warum er den ganzen Tag nicht in der Werkstatt und warum er immer noch nicht zu Hause war. Vielleicht schmorte er schon im Kerker des Pharaos oder wurde dem Richter vorgeführt oder…
Ein erfreulicher Gedanke jagte den anderen, da hörte Ranofer plötzlich, wie das Tor aufgestoßen wurde und Gebus schwere Schritte durch den Hof hallten. Ranofer ließ langsam den Wasserbecher sinken. Seine Hochstimmung war dahin, die alten Sorgen senkten sich wieder auf sein Herz. Gebu musste schon fast die Stiege erreicht haben, da kam Ranofer ein Gedanke. Er stürzte zur Tür und spähte vorsichtig hinaus. Gebu stieg gerade die erste Stufe hinauf; aber kurz bevor ihm die Stiege die Sicht auf Gebu versperren konnte, sah Ranofer noch, dass er ein Bündel trug.
Er hatte den Kelch also wieder mitgebracht; bestimmt, weil er Streit mit Setma hatte und so schnell keinen anderen Schiffer finden konnte, der seinen Schatz aus Theben schmuggelte. Es konnte Tage, gar Wochen dauern, bis er Ersatz fand. In der Zwischenzeit würde er den Kelch in seinem Versteck in der Truhe aufbewahren. Die Götter haben mir eine zweite Chance gegeben, dachte Ranofer erfreut. Dieses Mal werde ich die Sache nicht verpatzen! Ich darf keine Zeit verlieren, ich muss noch heute Nacht den Kelch holen, sobald Gebu ausgeht.
Kurz darauf kam Gebu wieder mit einem Arm voll Fladen die Stiege herunter; offenbar hatte er die frisch gebackenen Laibe auf dem Heimweg besorgt, denn die Kruste duftete so köstlich, dass sie noch warm sein mussten. Als er Ranofer sah, hielt er inne. „Du bist ja heute ausnahmsweise mal früh zu Hause“, brummte er.
„Ich bin gerade gekommen“, sagte Ranofer und hoffte, Gebu würde ihm glauben. Er hatte nicht vor, Gebus Argwohn zu wecken, indem er sich ungewöhnlich benahm. Er musste kommen und gehen wie immer, immer zur gleichen Zeit und immer den gleichen Weg. Gebu glaubte ihm offensichtlich. Er grunzte nur und ging mit einem Nicken, das bedeutete, Ranofer solle ihm folgen, in die Vorratskammer. Dort packte er die Fladen aus und warf sie auf ein Regalbrett. Er brach das Siegel eines Fässchens mit Salzfisch, nahm zwei Fische heraus und legte sie auf einen Tonteller. Ranofer hatte erwartet, dass Gebu nach seinem Kupfer verlangte, und hielt es ihm hin, während er hungrig zusah, wie Gebu das Fässchen wieder versiegelte und ein paar Fladen auf seinen Teller lud.
„Willst du denn meinen Lohn nicht?“, fragte Ranofer erstaunt, als Gebu aus der Kammer ging. Gebu blieb stehen und drehte sich um. Zerstreut nahm er die Münzen und ging weiter. Einen Augenblick später drehte er sich noch einmal um und gab Ranofer einen Fisch von seinem Teller. Dann verschwand er in der anderen Vorratskammer und kam mit einer ölgetränkten Fackel wieder heraus. Ohne Ranofer noch weiter zu beachten, der verdutzt dastand, einen ganzen Salzfisch in der Hand und wissend, dass noch drei frische Fladen offen auf dem Regal lagen, ging Gebu die Stiege hinauf und schlug die Tür hinter sich zu. Gleich darauf hörte Ranofer das kratzige, schrille Geräusch des Reibholzes, mit dem Gebu Feuer machte und seine Fackel anzündete.
Gebu hatten wohl den Kopf so voll, dass er sogar die Fladen auf dem Regal und Ranofers Lohn vergessen hatte. Und dann hatte er seinem Halbbruder aus der Gosse auch noch einen ganzen Fisch überlassen! Ranofer konnte den Grund für Gebus Zerstreutheit leicht erraten und das verschaffte ihm eine große Genugtuung. Es war für Gebu bestimmt nicht angenehm, einen gestohlenen Schatz in seinem Besitz zu haben und nicht zu wissen, wie er ihn wieder loswerden könnte. Und es musste noch viel unangenehmer sein, in dem Wissen zu leben, dass er sich einen Gauner wie Setma zum Feind gemacht hatte, und sich dauernd fragen zu müssen, wann und wie Setma ihn verraten würde.
Ranofer blieb eine Weile voller Zuversicht bei diesem Gedanken, wollte aber nicht auf Setmas Hinterlist zählen. Es konnte schließlich lange dauern, bis Setma
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