Der goldene Kelch
ließ aber vor Eile und Ungeschicklichkeit dreimal das Tuch fallen. Wenn Gebu jetzt käme, wäre es endgültig um ihn geschehen, das wusste er.
Er steckte das Bündel tief in die Truhe, verteilte mit zitternden Händen Schendjtiu und Kopftücher darüber, schlug den Deckel zu und sprang zur Tür. Draußen vor dem Eingang spürte er etwas Raues unter seinen nackten Sohlen. Er blieb stehen. Auf dem mondbeschienenen Fußboden lagen Bröckchen getrockneten Lehms. Was war das? Eine Falle? Er fuhr herum und inspizierte den Riegel.
Da sah er, dass die Tür mit Lehm versiegelt gewesen war, der deutlich den halben Abdruck von Gebus Skarabäus-Ring trug. Der Klumpen war weggebrochen, als er die Tür geöffnet hatte. Ein Blick – und Gebu würde wissen, dass Ranofer in seinem Zimmer gewesen war.
11
Ein Geräusch auf der Straße brachte Ranofer wieder zu sich. Er sprang auf den dunklen Stiegenabsatz und drückte sich gegen die Mauer, während er den Schritten lauschte, die immer näher und näher kamen, sich dann aber wieder entfernten und schließlich verklangen. Er atmete erleichtert aus, taumelte zurück zur Tür und kniete sich vor den Riegel. Er musste das Siegel unbedingt reparieren.
Es war in der Mitte gebrochen, als er den Riegel kräftig zurückgeschoben hatte. Ein Teil des Lehmklumpens hing noch am Riegel, der andere am Türrahmen. Wenn die Tür geschlossen war, sah man zwischen den beiden Klumpen deutlich einen ausgefransten Riss. Was ihn gefüllt hatte, lag nun in kleinen Bröckchen auf dem Boden. Er stand auf und schloss leise die Tür, dadurch schloss er aber auch das Mondlicht, das aus Gebus Zimmer kam, aus. Er konnte den Riss mit den Händen fühlen, sehen konnte er ihn jedoch nicht. Es hatte keinen Zweck – er brauchte Licht. Allerdings hatte er keine Ahnung, wo Gebu Reibholz, Brett und Zunder aufbewahrte; sie waren weder im Kasten noch in der Truhe. Es würde viel Zeit kosten, danach zu suchen, noch mehr Zeit, um schließlich eine Fackel anzuzünden, und Zeit war gerade das, was Ranofer nicht hatte. Er musste sich woanders Licht besorgen. Das bedeutete aber, dass er den Hof verlassen und hinaus in die verhexte Nacht gehen musste. Wenigstens schien der Mond. Es war noch nicht so spät und nicht so dunkel und still wie damals in jener schrecklichen Nacht. Diesmal bin ich mutiger, ich muss mutiger sein, nahm er sich vor. Irgendwo brannte bestimmt eine Fackel!
Er öffnete noch einmal die Tür; im Mondschein fegte er mit der Hand die Lehmbröckchen zu einem Häufchen zusammen. Das Mondlicht war aber so fahl, dass er die dunklen Ecken abtasten musste, um alle Bröckchen zu finden. Dann sprang er die Stiege hinunter und lief in die Vorratskammer. Er tastete sich zum Ölkrug vor, in dem ein paar Fackeln mit der Spitze nach unten steckten, schnappte sich eine und zwang sich schaudernd, seinen widerstrebenden Schritt zum Tor und auf die Straße zu lenken. Er sah nach rechts, er sah nach links. Ganz unten in der schluchtartigen Straße brannte eine Fackel über einem Eingang. Er rannte leise die Straße hinunter und wartete jeden Augenblick nur darauf, das unheimliche Flattern der unsichtbaren Schwingen eines Khefti zu hören oder plötzlich eine knochige Hand an seiner Kehle zu spüren. Da sah er vor dem Durchgang zu einer Gasse auch schon einen Schatten vorbeihuschen und beschleunigte seinen Schritt. Eine Katze, bestimmt nur eine Katze!, sagte er sich. Aber Katze oder Khefti – als er an dem beleuchteten Eingang ankam, schlotterten ihm die Knie vor Angst. Er hob seine Fackel in die Flamme. Während er wartete, bis sich das Öl entzündete, leierte er alle Zaubersprüche herunter, die er gegen böse Geister kannte, und lief bebend zum Haus zurück. Im Hof war er sicher. Er lehnte sich mit klopfendem Herzen gegen das Tor. Niemand hatte ihn gesehen, die Kheftiu – und die Katzen – hatten ihn verschont. Hoffentlich kam Gebu nicht ausgerechnet jetzt nach Hause und erwischte ihn!
Er eilte die Stiege hinauf und steckte die Fackel in die Halterung neben der Tür. Er sammelte die Lehmbröckchen auf, zerrieb sie und vermengte sie mit Speichel, dann drückte er die Paste in den Riss und strich sie glatt, so gut es ging. Mit einem Spänchen Palmbast vom Griff der Fackel ritzte er die fehlende Hälfte des Skarabäus in den Lehm. Geschafft! Aber das Ergebnis seines Flickwerks war so mager, dass ihm das Herz in die Kniekehlen rutschte. Gebu würde sofort merken, dass etwas nicht stimmte.
Ich muss weglaufen,
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