Der Goldene Kompass
aus einem Maschendraht aus derselben Legierung. Solange die beiden Kabinen miteinander verbunden sind, besteht natürlich auch die Verbindung zwischen Kind und Dæmon weiter, aber sobald die Klinge herunterfällt, wird die Verbindung abgeschnitten, und von da an sind sie getrennte Wesen.«
»Das möchte ich mir ansehen«, sagte Mrs. Coulter, »und zwar möglichst bald. Doch jetzt bin ich müde und werde wohl schlafen gehen. Morgen will ich alle Kinder sehen. Wir finden schon heraus, wer diese Tür geöffnet hat.«
Stühle wurden zurückgeschoben, dann wurden höfliche Abschiedsworte gewechselt und eine Tür geschlossen. Lyra hörte, wie die Männer sich wieder setzten und sich weiterunterhielten, allerdings leiser als zuvor.
»Was hat Lord Asriel vor?«
»Er hat meiner Meinung nach eine grundsätzlich andere Auffassung vom Wesen des Staubes. Weil aber das Geistliche Disziplinargericht natürlich nur die offizielle Deutung zuläßt, macht er sich damit im höchsten Maße der Ketzerei schuldig. Außerdem plant er Experimente…«
»Experimente? Mit Staub?«
»Pst! Nicht so laut…«
»Glauben Sie, daß Mrs. Coulter einen negativen Bericht schreibt?«
»Nein, nein. Ich finde, Sie sind sehr geschickt mit ihr umgegangen.«
»Ihre Einstellung macht mir Sorgen…«
»Sie halten sie für unphilosophisch?«
»Genau. Sie verfolgt persönliche Interessen. Ich sage es nur ungern, aber ich finde das fast schon makaber.«
»Das ist doch übertrieben.«
»Aber erinnern Sie sich denn nicht mehr an die ersten Versuche, als sie es kaum erwarten konnte, zu sehen, wie sie auseinandergerissen wurden…«
Unwillkürlich entfuhr Lyra ein Aufschrei. Sie zuckte am ganzen Körper zusammen und stieß mit dem Fuß gegen einen Eisenträger.
»Was war das?«
»In der Decke…«
»Schnell!«
Man hörte Stühlerücken und hastige Schritte, und ein Tisch wurde über den Boden geschoben. Lyra versuchte rückwärts wegzukriechen, aber es war zu eng, und sie hatte erst ein kleines Stück zurückgelegt, als die Deckenplatte vor ihr hochgestoßen wurde und sie direkt in das entsetzte Gesicht eines Mannes blickte. Es war so nah, daß sie jedes einzelne Haar seines Schnurrbartes erkennen konnte. Der Mann erschrak genauso wie sie. Aber er konnte sich freier bewegen als sie. Er streckte seinen Arm aus und bekam Lyras Handgelenk zu fassen.
»Ein Kind!«
»Halten Sie es fest…«
Lyra grub die Zähne in die große sommersprossige Hand. Der Mann schrie auf, ließ aber nicht los, auch dann nicht, als sie Blut schmeckte. Pantalaimon knurrte und spuckte, aber es nützte nichts, der Mann war viel stärker als Lyra und zerrte unerbittlich an ihr, bis sie den Eisenträger, den sie verzweifelt mit der anderen Hand umklammerte, loslassen mußte und kopfüber ins Zimmer hinunterrutschte.
Immer noch blieb sie stumm. Die Beine in den scharfen Rand der Metallrinne über ihr eingehakt, wehrte sie sich, mit dem Kopf nach unten hängend, in verzweifelter Wut. Sie kratzte, biß, boxte und spuckte, und die Männer keuchten vor Anstrengung und stöhnten vor Schmerzen auf, aber sie zogen immer weiter. Und auf einmal verließen Lyra all ihre Kräfte. Als hätte eine fremde Hand tief in sie hineingegriffen, dorthin, wo keine Hand etwas zu suchen hatte, und etwas gepackt, was ihr unendlich viel bedeutete.
Vor Schock war sie wie gelähmt, und ihr wurde schwindlig und übel.
Einer der Männer hielt Pantalaimon fest.
Mit seinen menschlichen Händen hatte er Lyras Dæmon gepackt, und der arme Pan, vor Entsetzen und Ekel ganz außer sich, zitterte jämmerlich. Sein Wildkatzenfell verlor im einen Augenblick vor Schwäche allen Glanz, dann wieder sprühte es anbarische Funken… Er streckte sich zu Lyra hinüber, und Lyra streckte beide Hände nach ihm aus…
Dann gaben sie auf. Sie waren gefangen.
Diese Hände… Lyra spürte sie wie an ihrem eigenen Körper … Dabei war es doch verboten… Man durfte Dæmonen nicht berühren… ein Frevel.
»War sie allein?«
Ein Mann spähte in den Zwischenraum über der Decke. »Scheint so…«
»Wer ist sie?«
»Das neue Kind.«
»Das die samojedischen Jäger…«
»Ja.«
»Meinen Sie nicht, daß sie vielleicht… die Dæmonen…« »Durchaus möglich. Aber doch wohl kaum allein.« »Sollten wir Mrs. Coulter davon…«
»Das würde das Faß zum Überlaufen bringen, meinen Sie nicht auch?«
»Doch. Besser, sie erfährt
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