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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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bewirkte.
    Aufmerksam spähte sie durch die offene Tür, bereit, sich  sofort zu ducken, denn auf dem Flur näherten sich Stimmen  von Erwachsenen, und dann war Mrs. Coulter selbst kurz zu  sehen, sie sah herein und lächelte den Kindern zu. Wie gut die  Kleinen es hier doch hatten, im Warmen und mit heißen  Getränken und Kuchen! Ein Schauer lief durch die Kantine,  und die Kinder verstummten und starrten Mrs. Coulter an. 
    Mrs. Coulter lächelte und ging weiter, ohne etwas zu sagen.  Nach und nach wurden die Gespräche wiederaufgenommen. 
    »Wohin gehen sie, wenn sie sich unterhalten wollen?« fragte  Lyra.
    »Meistens ins Konferenzzimmer«, sagte Annie. »Einmal  wurden wir da auch hingebracht«, fügte sie hinzu. Damit  meinte sie sich und ihren Dæmon. »Es waren ungefähr zwanzig  Erwachsene anwesend, und einer von ihnen hat einen Vortrag  gehalten, und ich mußte mich hinstellen und tun, was er sagte,  zum Beispiel ausprobieren, wie weit sich mein Kyrillion von  mir entfernen konnte. Und dann hat er mich hypnotisiert und  noch andere Sachen gemacht… Es ist ein großer Raum mit vielen Stühlen und Tischen und einem kleinen Podium; er liegt  direkt hinter dem Empfangsbüro. He, ich wette, sie tun jetzt so,  als ob der Probealarm wunderbar geklappt hätte. Ich könnte  wetten, daß sie genauso Angst vor ihr haben wie wir…« 
    Den Rest des Tages, beim Turnen, Nähen, Abendessen und  beim anschließenden Spielen, hielt sich Lyra in der Nähe der  anderen Mädchen auf, sprach wenig, sah aufmerksam um sich  und verhielt sich möglichst unauffällig. Gespielt wurde im  Gemeinschaftsraum, einem großen, heruntergekommenen  Zimmer, in dem es Brettspiele, ein paar zerfledderte Bücher  und eine Tischtennisplatte gab. Irgendwann bemerkten Lyra  und die anderen Kinder, daß offenbar etwas nicht stimmte,  denn die Erwachsenen hasteten aufgeregt ins Zimmer und wieder hinaus oder standen in besorgten Gruppen zusammen und  redeten aufeinander ein. Sie hatten die Flucht der Dæmonen  entdeckt, vermutete Lyra, und wunderten sich jetzt, wie das  möglich war.
    Zu ihrer Erleichterung sah sie jedoch nirgends Mrs. Coulter.  Als es Zeit zum Schlafengehen war, beschloß sie, die anderen  Mädchen in ihren Plan einzuweihen.
    »Sagt mal«, fragte sie, »gehen die Schwestern eigentlich  immer noch einmal durch die Zimmer und kontrollieren, ob  wir schlafen?«
    »Sie sehen einmal rein«, sagte Bella, »und leuchten kurz mit  der Laterne herum, schauen aber eigentlich nicht richtig nach.« 
    »Gut. Ich will mich nämlich ein bißchen umsehen. Ein Junge  hat mir gezeigt, daß es einen Gang über der Decke gibt…« 
    Sie erklärte den Mädchen, was sie wußte, und noch ehe sie  fertig war, sagte Annie: »Ich komme mit!«
    »Nein, besser nicht. Es fällt nicht so auf, wenn nur eine fehlt.  Und ihr könnt dann alle sagen, ihr hättet geschlafen und wüß  tet nicht, wo ich sei.«
    »Aber wenn ich mitkäme…«
    »Erwischen sie uns nur leichter«, sagte Lyra.
    Die beiden Dæmonen der Mädchen starrten sich an, Pantalaimon in Gestalt einer Wildkatze, Annies Kyrillion als Fuchs.  Beide zitterten. Pantalaimon stieß sein leisestes Fauchen aus  und bleckte die Zähne, worauf Kyrillion sich umdrehte und  sich wie unbeteiligt zu putzen begann.
    »Na gut«, meinte Annie resigniert.
    Streitfälle zwischen Kindern wurden häufig dadurch  geschlichtet, daß ein Dæmon nach kurzem Kräftemessen die  Überlegenheit des anderen anerkannte. Da die Menschen eine  solche Entscheidung meist ohne Groll akzeptierten, wußte  Lyra, daß Annie tun würde, was sie von ihr verlangte. 
    Alle steuerten Kleidungsstücke bei, um Lyras Bett so auszustopfen, als liege sie unter der Decke, und versprachen, so zu  tun, als ob sie von nichts wußten. Lyra horchte an der Tür, um  sicherzugehen, daß niemand kam, schwang sich auf den Spind,  drückte die Deckenplatte nach oben und zog sich hinauf. 
    »Verratet bloß nichts«, flüsterte sie den drei Gesichtern zu,  die zu ihr heraufsahen.
    Sie ließ die Platte sacht an ihren Platz zurückgleiten und  blickte sich um.
    Sie kauerte in einer schmalen Metallrinne, die von einem  Gerüst von Trägern und Verstrebungen getragen wurde. Die Deckenplatten ließen etwas Licht von unten durch, und in ihm sah Lyra, daß sich der niedrige, nur gut einen halben Meter hohe Zwischenraum nach allen Richtungen ausdehnte. In dem Gewirr aus Leitungen und Rohren konnte man sich zwar

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