Der goldene Kuß
mir nie wieder gutmachen …«
Die Show ›Der goldene Kuß‹ lief zwei Stunden lang ohne Stockung, ohne Fehler, ohne Leerlauf ab. Es war eine Sendung, die voll Witz und Musik war, voll Romantik und Spannung, voll Liebe und Herz – es war eine Show für Millionen. Als dann schließlich ein sechzigjähriger Finanzbeamter der Publikums-Sieger wurde und beim Schluß-Quiz Veras Lippen aus fünf anderen Lippenpaaren sicher heraussuchte und sie küssen durfte, da kannte der Jubel keine Grenzen mehr – vor allem, als Vera Hartung schlagfertig sagte: »Jetzt bin ich ein Jahr lang sicherlich steuerfrei …«
Das Ende waren Blumen und Gratulationen. Und die große Abschlußnummer, die sich Theo Pelz ausgedacht hatte und von der sogar Dr. Rathberg überrumpelt wurde: Karin Jarut erschien auf der Bühne, in einem berauschenden Abendkleid aus französischer Seide, schillernd in allen Farben. Mit ausgebreiteten Armen lief sie auf Vera zu, umarmte sie und küßte sie auf beide Wangen.
Welch ein Bild!
Dr. Rathberg lächelte vor sich hin. Das wäre wieder ein Grund, Theo Pelz morgen am Boden zu zerstören, dachte er. Aber warum? War es nicht ein Erfolg? Sind nicht Millionen begeistert? Kann Korrektheit nicht manchmal auch ein ekelhafter Bremsklotz sein?
Er erhob sich in der ersten Reihe, trat an die Bühnenrampe und klatschte laut mit. Und alle, die es sahen, wußten in diesem Moment: Der große Rathberg hatte eine einmalige Leistung vollbracht. Er war über seinen eigenen Schatten gesprungen …
*
Und dann war alles vorbei.
Die Scheinwerfer erloschen, die viertausend Menschen hatten die große Messehalle verlassen, in den Wohnzimmern von vierzig Millionen Menschen ertönte wieder die Stimme des Nachrichtensprechers.
Politische Konferenzen … Katastrophe beim Start einer Weltraumfähre … Bauern wollen höhere Eierpreise … In München wurde ein Mannequin ermordet aufgefunden … im Libanon wieder Schießerei … in Äthiopien neue Angriffe der Widerstandsgruppen … Reagan hat gesagt …
Zwei Stunden Zauber waren vorbei. Es blieb die Erinnerung an ein bewegendes Mädchengesicht, an eine Stimme, an einen Charme, der irgendwie noch im Zimmer lag.
»Was machen wir jetzt?« fragte Horst Helmke. Er half Vera aus dem Wagen. Der Portier des Hotels riß die Türen auf. Auch er hatte die Sendung gesehen. In der Tür zur Direktion wartete der Direktor mit einem großen Rosenstrauß in der Hand.
»Ich bin müde«, sagte Vera Hartung. »Ich bin hundemüde, Horst. Ich lege mich ins Bett.«
»Ausgeschlossen!« Helmke legte ihr den Pelz um die Schulter. »In einer halben Stunde Galaessen im Speiseraum. Dann Interview mit drei US-Sendern. Dr. Rathberg wird eine Ansprache halten. Kind, du mußt dich daran gewöhnen: Du bist jetzt ein Star …«
»Trotzdem bin ich müde.« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Wann heiraten wir?«
»Ostern«, sagte Helmke sofort.
»Wie gut! Dann mußt du auf mich aufpassen, daß sie mich nicht verheizen wie andere vor mir. Du mußt ganz höllisch auf mich aufpassen …«
»Worauf du dich verlassen kannst!« Helmke drückte sie an sich und küßte sie auf dem Weg vom Auto zur Hoteltür. »Ich werde dich bewachen wie ein Drache seinen Schatz. Übrigens hat mir Rathberg ein Angebot gemacht. Ich soll im Sommer selbst Regie führen.«
Der Portier riß die Tür auf, die Gäste in der Hotelhalle klatschten, aus dem Speisesaal kamen Dr. Rathberg und Theo Pelz gelaufen, der Direktor wurde abgedrängt. Funkreporter belagerten Vera Hartung.
»Wie fühlt man sich nach solch einem Triumph?«
Die übliche Frage … was soll man darauf antworten?
Vera Hartung lehnte den Kopf wieder an Helmkes Schulter. Ihr Lächeln, wieder gefilmt, würde morgen in allen Zeitungen leuchten.
»Müde …«, sagte sie. »Müde, aber glücklich. Ich glaube, es hat ganz gut geklappt …«
Theo Pelz stieß Dr. Rathberg an. »Sage ich es nicht: ein Naturtalent«, flüsterte er ihm ins Ohr. »Das sind Worte, die mitten ins deutsche Gemüt treffen.«
»Ich weiß.« Dr. Rathberg lächelte sarkastisch. »Auch Sie sind ein Genie, Pelz!«
Durch eine Gasse fröhlicher Menschen ging Vera hinüber zum Speiseraum. Die Fotografen liefen neben ihr her und knipsten jede ihrer Bewegungen. Der Rosenstrauß der Hoteldirektion lag in ihrem Arm … sie hatte kaum bemerkt, wie man ihn ihr überreicht hatte.
Nun bin ich ein Star, dachte sie und drückte sich näher an Horst Helmke. Der Traum eines kleinen Mädchens wurde Wahrheit. Oder ist
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