Der goldene Kuß
Ich habe Sie dort zum erstenmal gesehen.«
»Es war auch meine erste Ansage.« Vera Marfeldt wies auf einen Stuhl, aber Pelz blieb stehen. »Ich hatte schreckliches Lampenfieber. Immer dachte ich daran: Jetzt sehen dich Millionen Augen.«
»An so was soll man nicht denken. Besser ist: Da sitzt Onkel Fritz und kaut ein Käsebrot.« Pelz lachte. »Ihre erste Ansage, tatsächlich?«
»Ja. Bei der Absage ging's schon besser, nicht wahr?«
»Blendend.« Pelz log elegant. Er hatte sie ja nicht mehr gesehen. »Sie haben einen Vertrag?«
»Nur zur Probe. Auf drei Monate. Sie wissen doch: Testen, ob mein Gesicht beim Zuschauer ankommt. Dann erst soll ich fest angestellt werden.«
»So lange warten wir gar nicht.« Pelz zog den Stuhl zu sich heran, sah zu Vera hinauf und stellte fest, daß neben dem Gesicht auch die Figur hervorragend war. Lange, schlanke Beine, ein betörender Hüftschwung, enge Taille, und dann der Busen … Aus diesem Mädchen war etwas zu machen, wenn Theo Pelz sich um sie kümmerte. »Ihre Ausbildung?«
»Mittlere Reife. Dann Schauspielschule. Erstes Engagement in Bielefeld, dann ein Jahr in Darmstadt. Zwischendurch Hörspiele im Hörfunk, wo mich Regisseur Konz entdeckte. Nun die Probesendungen.«
»Konz ist ein Kleinlichkeitskrämer, ein Dummkopf. Probesendungen! Bei Ihnen! Ich engagiere Sie auf der Stelle. Einverstanden?«
»Aber Herr Pelz …« Vera verschlug es den Atem. »Der Vertrag mit dem Sender. Ich kann doch nicht.«
»Ich spreche mit dem Kollegen. Überlassen Sie das nur mir. Selbst einen Krach überlebe ich. Notfalls ein Arbeitsgerichtsverfahren wegen Vertragsbruch. Ich mache alles, um Sie in mein Programm zu bekommen.«
»Und … und warum?« fragte Vera Marfeldt leise.
»Weil Sie mir gefallen«, sagte Pelz ehrlich. »Und weil ich sehe, daß Sie Talent haben – so etwas fühlt man als alter Fernsehhase – und weil ich jemanden brauche, den ich dem Intendanten präsentieren kann als Ersatz für … Aha, Sie haben schon gelesen?« Pelz zeigte auf die aufgeschlagene Zeitung.
»Ja.« Vera wagte nicht, sich von der Stelle zu rühren. Ich wanke, dachte sie. Ich falle einfach um. Ich muß mich an die Wand lehnen. Ein Vertrag mit Theo Pelz … so etwas habe ich nicht einmal zu träumen gewagt.
»Tolle Sache, was?«
»Man kennt nicht die Hintergründe …«
»Ist doch klar.« Pelz klopfte auf die Fotos von Karin Jarut. »Sie fliegt. Dr. Rathberg hat schon entschieden. Morgen steht's in allen Zeitungen. Bei Rathberg können Sie hundert Liebhaber im Schrank haben, aber keinen auf der Straße. Wir verstehen uns?« Pelz sah Vera groß an. Es war ein Blick, der sich an ihr festsaugte. Sie spürte es körperlich. Eine heiße Welle überspülte sie. Wortlos nickte sie. Sie konnte die Worte nicht mehr herauswürgen.
»Also dann! Gehen wir zusammen Mittag essen? Es ist zwar erst halb elf Uhr, aber bis wir die ganzen Einzelheiten besprochen haben, knurrt uns der Magen. Zur Opernterrasse?«
»Wie Sie wollen, Herr Direktor.«
Theo Pelz sah sich um, als sich Vera ihren Mantel aus dem Schrank holte und hinauslief ins Badezimmer, um sich die Lippen zu schminken. Witwe Mayer lauerte in der Küchentür.
»Ist er's?« flüsterte sie.
»Ja!« Vera fuhr sich mit bebenden Fingern durch die Haare. »Der wichtigste Mann für mich in Deutschland! Ich glaube, vor Aufregung sage und tue ich lauter Dummes …«
Aus diesem Zimmer wird sie bald ausziehen, dachte Pelz, als er allein war. Sie wird sich ein kleines Appartement leisten können, und wenn wir uns gut verstehen, wird ein Auto dazukommen, schöne Kleider und all die Kleinigkeiten, mit denen man eine Frau verwöhnt. Karin Jarut hat es verstanden, ganz gut abzusahnen. Ihr Bankkonto in der Schweiz kennt keiner. Aber hier wird man aufpassen müssen; diese Vera Marfeldt, dieses Goldstück, soll bei Theo Pelz bleiben. Einmal wird auch ein Rennpferd müde und sehnt sich nach einem warmen Stall.
Vera kam zurück. Sie hatte das schwarze, glänzende Haar mit einem roten Chiffonschal durchzogen. Ihre Lippen leuchteten blutrot. Sie sah hinreißend aus.
»Ich weiß auch schon, wie Sie heißen werden«, sagte Theo Pelz und ergriff ihre Hand. »Marfeldt – das klingt nicht in Millionen Ohren. Sie werden Vera Hartung heißen. Jawohl … Vera Hartung in ›Ich suche Kain‹!«
»Aber da spielt doch Karin Jarut!«
»Davon später, Vera Hartung! Jetzt fahren wir erst einmal zur Opernterrasse, trinken einen Aperitif und besprechen den ganzen technischen Kram.
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