Der goldene Thron
unendlich wirkende Grau über ihm, wählte sich eine Schneeflocke aus, heftete den Blick auf sie und verfolgte ihren Weg bis auf den Boden, dann sah er wieder nach oben und begann von vorn. Es dauerte nicht lange, und der Weg vor ihm war mit Schnee bedeckt, weiß, unschuldig, unbefleckt. Ist mein Gewissen ebenso rein?, fragte er sich. Habe ich mit Bedacht gehandelt, oder habe ich zugunsten meines eigenen Vorteils die Interessen meines Königs vernachlässigt?
Pegasus schnaubte ungeduldig.
Guillaume beruhigte den Hengst und tätschelte ihm den Hals.Nein, er hatte seinen König nicht verraten. Er hatte versucht, ein guter Justiziar zu sein, das Beste für England zu tun, was immer das auch sein mochte. Dass er sich John, wie so viele andere Barone auch, nicht strenger entgegengestellt hatte, mochte sich nun als Fehler herausstellen, doch das hatte keiner von ihnen wissen können. Wenn Richard gestorben wäre, hätte John den Thron bestiegen. Wem wäre dann mit ihrer Gegenwehr gedient gewesen? England gewiss nicht, denn dem Reich hätten sie dann nicht mehr dienen können. Wie die anderen Lords auch hatte Guillaume sich nicht allein für England, sondern auch für seine Ländereien verantwortlich gefühlt. Für das Erbe seiner Söhne. Für seine Güter in Irland. Doch wenn er bei Richard in Ungnade fiel, so war dieses Erbe ebenso in Gefahr, als wenn er sich John entgegengestellt hätte und dieser König geworden wäre. Nein, es machte keinen Sinn, mit seinen Entscheidungen zu hadern. Er hatte sie guten Gewissens getroffen und würde sie auch vor Richard verteidigen können, falls der je an ihm zweifelte. Niemals, zu keinem Zeitpunkt, hatte Guillaume Verrat an seinem König geübt!
Er atmete tief ein. Es hatte aufgehört zu schneien. Die Luft war rasch zu kalt für Schnee geworden. Guillaume beschloss zurückzureiten, denn es dämmerte bereits. Er sehnte sich plötzlich nach Ruhe und Frieden, nach Isabelle, ihrer Wärme und ihrer Fröhlichkeit. Auch der Gedanke, wie es William wohl in Oakham ergangen sein mochte, beschäftigte ihn. Ob Walkelin de Ferrers unversehrt vom Kreuzzug zurückgekehrt war und den neuen Falkner kennen- und schätzen gelernt hatte?
Im April, am Ende des Monats schließlich, kehrte Hubert Walter, der Bischof von Salisbury, vom Kreuzzug zurück. Er war ein enger Freund des Königs und hatte Seite an Seite mit ihm gegen die Ungläubigen gekämpft, trotzdem hatten sie den Rückweg getrennt angetreten. Noch auf der Heimreise hatte der Bischof von Richards Gefangenschaft erfahren und sich umgehend auf den Weg nach Rom gemacht, um den Papst zu bitten, Druck aufden Herzog auszuüben. Im Anschluss an seine Audienz war er der Spur Richards ins Heilige Römische Reich gefolgt und hatte sich durchgefragt, bis er ihn schließlich in Hagenau aufgetan hatte. Dem Rat legte er bei seiner Rückkehr ein Schriftstück vor, das von Richard unterzeichnet war und ihn zum Nachfolger des Erzbischofs von Canterbury nominierte, der auf dem Kreuzzug vor Akko gefallen war.
Wie sich schon bald herausstellte, hatte Richard mit ihm eine hervorragende Wahl getroffen, denn Hubert Walter verlor keinen Augenblick Zeit und verhandelte umgehend einen Frieden mit Prinz John, um weitere Unruhen zu vermeiden.
Als kurz darauf die Nachricht eintraf, dass auch Baudouin lebend aus Outremer zurückgekehrt und endlich in England eingetroffen sei, fiel Guillaume ein Stein vom Herzen.
»Ist es wahr, dass Ihr gemeinsam mit dem König in Gefangenschaft geraten seid?«, fragte FitzPeter, als Baudouin vor den Rat trat, und runzelte die Stirn.
»Ja, Mylords, und ich will Euch gern berichten, was geschehen ist.« Baudouin nickte in die Runde. »Richard wollte England noch vor Ende des Jahres erreichen, doch die Rückreise gestaltete sich schwierig«, begann er zu erzählen. »Der König wollte weder im Winter die raue See um Spanien besegeln noch den Landweg durch den Süden Frankreichs wagen, wo er mit einem Angriff durch den französischen König oder Raymond de Toulouse hätte rechnen müssen. Auch der Weg über Mailand war ihm wegen des kaiserlichen Grolls auf die Welfen und Tankred von Lecce zu unsicher. Darum entschied er sich für einen Umweg.« Baudouin seufzte. »Wir segelten also nach Korfu und schickten unser Schiff von dort aus weiter nach Brindisi, um unsere Spur zu verwischen. Nur fünfzehn Getreue, zu denen auch ich gehörte, wählte sich Richard zu seiner Begleitung, heuerte ein Piratenschiff an und folgte der
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