Der goldene Thron
Guillaume schuldete ihm darum Treue, ob es ihm passte oder nicht. Würde der König sein Zögern verstehen? Würde er sein Verhalten dulden oder ihm bei seiner Rückkehr Verrat vorwerfen und ihn bestrafen? Guillaume wusste es nicht, doch seine Zuversicht wollte er nicht aufgeben.
Striguil im März 1194
D ie Nachricht vom Tod seines Bruders traf Guillaume nicht wirklich. Obwohl sie sich in den vergangenen Jahren häufiger gesehen hatten, waren sie sich niemals nah gewesen, trotzdem machte ihn der Verlust nachdenklich. Bin ich der Nächste, der sterben wird?, fragte er sich. Als Verräter womöglich, wie Jean?
Sein Bruder war bei den Kämpfen um Marlborough Castle gestorben, der Burg, auf der sie beide das Licht der Welt erblickt hatten. Doch nicht für Richard hatte er sie gehalten, sondern für Prinz John, und sie weder aufgegeben, als Guillaume ihn dazu aufgefordert hatte, noch als der Erzbischof von Canterbury sie hatte belagern lassen.
Guillaume horchte in sein Innerstes. Wie würde Gott der Herr ihn aufnehmen, wenn er einmal starb? War er würdig, sich eines Tages im Gewand der Templer auf den Weg zum Jüngsten Gericht zu machen? Gewiss, er hatte versucht, Gott gefällig zu sein, und eine kleine Augustiner-Abtei mit seinen Ländereien in Lancashire gegründet, doch war es sicher besser, sich der Kirche gegenüber noch bedeutend großzügiger zu erweisen, so ihm denn genug Zeit dazu verblieb!
Vermutlich würde ein Teil von Jeans Besitz an ihn gehen, denn sein Bruder hatte nur einen unehelichen Sohn, aber keinen Erben gezeugt. Ein weiterer Grund, nicht wirklich zu trauern, denn ganz so reich, wie er gehofft hatte, war Guillaume durch die Eheschließung mit Isabelle nicht geworden. Zwar war er durchaus ein bedeutender Baron, doch die Grafschaft Pembroke und der dazugehörige Titel, auf den schon Isabelles Vater vergeblich Anspruch erhoben hatte, waren nicht, wie erwartet, an ihn gegangen.Auch um seine Ländereien in Irland hatte er sich bislang noch nicht kümmern können. Ob er sie überhaupt jemals zu Gesicht bekommen würde? Immerhin hatte er Nachricht, dass Richard kürzlich in England eingetroffen war.
Guillaume seufzte. Wieder einmal waren sein Schicksal und seine Zukunft ungewiss. Einerseits erwartete man von einem Mann seines Standes, dass er trauerte und seine Aufgabe als Nachgeborener erfüllte, indem er seinen Bruder auf seinem letzten Gang begleitete, dessen Witwe eine Stütze war und für ein feierliches Begräbnis sorgte. Andererseits hatte Guillaume nicht nur eine Verpflichtung gegenüber dem Verstorbenen. Er war auch Richards Getreuer, und als solcher hatte er seinem König, ohne zu zögern und so schnell wie möglich, entgegenzuziehen. Wäre sein Bruder kein Verräter gewesen, so hätte der König gewiss Verständnis für eine Verspätung seines Justiziars gehabt. Ob er Richard aber warten lassen konnte, um einen Verräter zu ehren?
Guillaume befragte sein Herz. Dachte er an Jean, war es wie tot. Der Bruder hatte ihn nicht gemocht und ihm nichts bedeutet. Mit keinem Wort hatte er ihm jemals Zuneigung gezeigt, nie auch nur eine brüderliche Geste für ihn übrig gehabt. Stets war er nur voller Neid gewesen und auf den eigenen Vorteil bedacht. Bei dem Gedanken an Richard jedoch schlug Guillaumes Herz voller Hoffnung und Lebensfreude! Richard war sein König, der Herr, dem er ewige Treue geschworen hatte. Der Mann, der Freundschaft über alles schätzte, der ihm schon einmal verziehen hatte und dem er alles verdankte! Nein, sein Herz sagte es ganz deutlich: Er durfte seinen König nicht länger warten lassen als unbedingt erforderlich.
Guillaume ließ also Jeans Leichnam nach Cirencester bringen, wo eine feierliche Messe für den älteren Bruder gelesen wurde, und richtete tröstende Worte an die Witwe. Dann wies er seine Männer an, den Trauerzug ohne ihn nach Bradenstoke zu geleiten, wo Jean beerdigt werden sollte, und eilte mit drei Rittern nach Norden, um in Huntingdon zu seinem König zu stoßen.Baudouin kam ihm als Erster entgegen, umarmte Guillaume und führte ihn zu ihrem Herrn. »Die meisten Burgen, die Prinz John während Richards Gefangenschaft verstärkt hat, haben bereits aufgegeben, nur Tickill und Nottingham harren noch aus«, erklärte er ihm auf dem Weg zum König. »Nach seiner Ankunft in Sandwich ist Richard sogleich nach Canterbury gezogen, um am Grab des heiligen Thomas Becket Andacht zu halten. Dann ging er nach London, wo er mit unglaublichem Jubel empfangen wurde. Du
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