Der goldene Thron
Monaten zum französischen König übergelaufen. Sogar Lupescar, der Söldnerführer, der John so viel Hass im Volk beschert hatte, hatte Falaise kampflos ausgeliefert und die Seiten gewechselt. Viele Barone, die Güter in England und der Normandie besessen hatten, waren klug genug gewesen, ihre Ländereien auf demFestland jüngeren Brüdern zu übereignen, sodass diese statt ihrer den Treueeid geschworen hatten und die Güter nicht ganz verloren waren. Das Reich aber war auf diese Weise erneut gespalten worden, ohne dass John etwas dagegen unternommen hatte. Ungläubig hatte Guillaume mit ansehen müssen, wie all das zerbröckelte, was Henry II. und Richard mit ihrem rastlosen Einsatz zu bewahren gelungen war.
Mehr als einmal hatte Guillaume Einwände vorgebracht und Vorschläge unterbreitet, was man hätte tun können, doch John hatte sich verfolgt und bevormundet gefühlt und nur selten auf ihn gehört. Das Beste für England und den König zu erreichen, war Guillaumes oberstes Ziel gewesen, solange er denken konnte. Doch diesmal schien er versagt zu haben. Die Normandie war so gut wie verloren. Was sollte er nun tun? Seine Ländereien auf dem Festland aufgeben?
Guillaume schüttelte unwillkürlich den Kopf. Nach dem Abkommen mit dem französischen König war der Earl of Leicester von John mit der Grafschaft Richmond entschädigt worden. Guillaume aber war nicht solche Großzügigkeit widerfahren. Goodrich Castle in Herefordshire und die Erlaubnis, dort einen Markt abzuhalten, sowie die Genehmigung des Königs, sich von den Walisern mit Gewalt zu nehmen, was er konnte, war alles, was er bekommen hatte. Auf diese Weise war es ihm zwar gelungen, endlich auch Cilgerran zu nehmen, das einst zur Grafschaft von Pembroke gehört hatte, doch einen möglichen Verlust seiner Ländereien in der Normandie konnte das nicht aufwiegen.
Während Guillaume an seinem König zweifelte und sich fortwährend fragte, ob der Weg, den er selbst einzuschlagen gedachte, der richtige war, baute John eine mächtige Flotte auf. Überall im Land wurden Schiffe gebaut, Matrosen ausgebildet und ein militärischer Vorstoß vom Meer aus vorbereitet. Immer wieder hatte John mit seinen Baronen darüber debattiert, ob er in der Normandie einfallen sollte, um sie zurückzugewinnen, oder ob er zunächst im Poitou Präsenz zeigen sollte, das seit dem Tod Eleonores, die in diesem Jahr zum Herrn gegangen war, in Gefahrschwebte, ebenfalls vom französischen König überfallen zu werden.
Ganz gleich, was Guillaume dem König riet und ob John sich entschied, in der Normandie einzumarschieren oder im Poitou – folgte ein Sieg, so würde dieser anderen als dem Maréchal angerechnet werden, folgte jedoch eine Niederlage, so würde man ihn beschuldigen, dies vorausgesehen und aus selbstsüchtigen Gründen in Kauf genommen zu haben. Trotzdem brachte Guillaume es nicht fertig, sich rauszuhalten.
Wer sollte einem König, dem man den Beinamen Softsword gegeben hatte, zutrauen, das Reich jetzt noch retten zu können?
Immerhin hatte John die Lethargie abgelegt, die ihn noch im Jahr zuvor gelähmt hatte. Doch nicht Zuversicht leitete seinen Drang zu handeln, sondern die Angst vor erneutem Verrat. John fürchtete, der Franzose könne ihn bis nach England verfolgen und die englischen Barone ihren König verraten. Schon bald traute er auch auf der Insel kaum noch jemandem. Verdächtigungen und Anschuldigungen sorgten für Spannungen unter den Baronen, vor allem aber zwischen den Lords und ihrem König. So gut es ging, stand Guillaume seinem Herrn zur Seite, doch auch für ihn zogen bereits dunkle Wolken am Horizont auf.
London im März 1205
D er Winter hatte schon früh mit unbarmherziger Kälte zugeschlagen. Die Themse war nach dem Christfest mit einer so dicken Eisschicht bedeckt gewesen, dass die Londoner sich Ochsenknochen unter die Schuhe gebunden hatten und auf dem zugefrorenen Fluss Schlittschuh gelaufen waren. Was zunächst wie ein großer Spaß gewirkt hatte, war rasch zu einem Ärgernis geworden, denn Schnee und eisige Kälte hatten sich schon bald zu einem unbequemen Dauergast entwickelt. Wochenlang hatte nicht ein einziges Schiff die Themse befahren können. Gemüse war nahezu unerschwinglich und der Preis für Getreide in schwindelerregende Höhen gestiegen. Zehnmal so viel wie vor dem Christfest verlangten die Händler für Mehl und Korn, und ein Ende der steigenden Preise war nicht abzusehen. Die Ackerböden waren so tief gefroren, dass sie auch im
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