Der Goldkocher
Anna machte. Er spürte tiefe Schuld und sah den Pfarrer an, der Arnold ähnlicher war als je zuvor. In diesem Augenblick wusste Lips, dass er alles versuchten wollte, seine Schuld wettzumachen.
33
Lips ließ sich einige Male die Bänder der Schienung vom Viehknecht nachziehen, und nachdem sie nach einigen Wochen ganz abgenommen war, fing er wieder mit den Versuchen an. Der Arm blieb etwas schief ausgewachsen, und er musste erst üben, die Tiegel mit den langen Zangen sicher zu fassen. Er fing mit den Versuchen noch einmal von vorne an und prüfte alle Doppeldeutigkeiten der alchemistischen Zeichen und alle möglichen Nebenwege, die Böttger eingeschlagen haben konnte.
Die Sommerwochen vergingen darüber, und es passierte nichts von dem, was Lips befürchtete. Der Vater zeigte sich nicht mehr. Um Dippel war es ruhig geworden, jedenfalls hörte er nichts von ihm. Auch von Leibniz nicht. Anna kam nur selten aus dem Haus, meist ganz früh, wenn noch wenig Leben auf dem Hof war. Zum Gottesdienst trug sie jetzt immer eine Haube tief ins Gesicht gezogen, als hätte sie ein Fischgesicht wie die Frau Pfarrer. Einmal begegneten sie sich, als Lips am Brunnen Wasser schöpfte. Aus dem Waschhaus klang das Singen zweier Mägde und das Schlagen der nassen Wäsche. Ein Karren mit Fässern und Paketen wurde abgeladen, und die Kutsche des Apothekers wurde geschmiert. Lips dachte, Anna würde wie sonst weitergehen, aber sie kam mit gesenktem Kopf direkt auf ihn zu.
»Du musst mir helfen«, sagte sie ohne Umschweife und blickte nach unten. »Es ist mir im Leib verstockt.«
»Wie?« Lips wollte nicht sofort begreifen und sträubte sich innerlich, obwohl er ahnte, worum es ging. Es stach in ihm, als er die entstellende Narbe über Annas Augenbraue sah, die ganz dunkel eingefärbt war, als wäre der Sack, den der Vater ihr beim Überfall übergestülpt hatte, für Holzkohlen gewesen.
»Vom Überfall«, sagte Anna gepresst. »Die Natur ist mir verstockt. Ich brauch was, um das Bankert rauszutreiben!«
»Dieses verfluchte Schwein!«, stieß Lips hervor. Schlagartig war der ganze Hass gegen den Vater wieder da. Umbringen würde er ihn das nächste Mal!
»Das hilft mir jetzt auch nicht!« Anna blickte von der Seite zu den Knechten hinüber, die neugierig zu ihnen herübersahen. »Ich kann nicht länger warten. Was ist jetzt? Besorgst du mir was oder nicht!?«
»Hure!«, rief plötzlich eine Männerstimme. Lips drehte sich um, sah aber nur noch einen Schatten. Er hatte die Stimme erkannt und lief mit geballten Fäusten zur Stalltür, die angelehnt war. Er stieß die Stalltür auf und stürmte auf den Viehknecht los.
»Was ist denn mit dir los?!«, fragte ihn der Viehknecht, bückte sich geschwind und wollte nach einer Mistgabel greifen.
Lips kam ihm zuvor. »Warst du das?«, schrie er und fasste ihn am Kragen.
»Wovon redest du denn?« Der Viehknecht fletschte verlegen seine Zahnstumpen. »Was soll das denn!« Er versuchte sich aus Lips' Griff zu entwinden. »Jetzt lass mich!«
Eine unbändige Wut überkam Lips. Es brach aus ihm heraus, er war wie von Sinnen, fasste nach, dann hob er den Viehknecht an, sodass nur noch die Zehenspitzen den Boden berührten. Lips hielt ihn hoch, der Viehknecht schlug um sich und schrie etwas, aber Lips war wie im Taumel. Er ließ ihn schreien und schlagen und spürte nur dumpf, ganz entfernt die abwehrenden Schläge. Mit ganzer Kraft schlug er ihn gegen einen Pfeiler. Der Viehknecht schrie, als ginge es an sein Leben. Lips spürte Hände, die ihn von hinten zurückhalten wollten. Er fasste nach und stieß den Viehknecht gegen einen Verschlag. Bretter barsten, beide fielen übereinander und wälzten sich auf dem verdreckten Stallboden. Hände versuchten ihn wegzureißen, entfernte Stimmen riefen etwas. Lips gewann Oberhand und schlug zu, wieder und immer wieder. Hände griffen nach seiner Faust. Er kniete auf dem Viehknecht, der die Hände schützend vor sein angstverzerrtes Gesicht hielt, und trommelte auf ihn ein.
Bilder blitzten auf. Lips hielt die erhobene Faust, und plötzlich sah er das jähzornige Gesicht des Vaters, wie dieser über ihm stand und ausholte. Lips sah sich gekrümmt auf dem Boden liegen. Er hielt die Hände schützend vor sein Gesicht und hoffte mit jedem Schlag, dass sich der Vater endlich müde geschlagen hatte. Lips kniete auf dem Viehknecht, der sich unter ihm krümmte, er senkte die Faust und atmete schwer, dann ließ er vom Viehknecht ab.
Als er hinausschwankte, traten
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