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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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Tischen standen. Sie erkannte niemanden wieder.
    »Ist ja auch lange her«, sagte die Mutter.
    Und so zogen sie weiter nach Kossin, langsam von Dorf zu Dorf. In einem Kaufmannsladen gab Lips vor, er hätte faulige Zähne und erbettelte eine Prise Schwarzpulver. Er wollte es der Mutter eingeben, weil sie immer heftiger über Kopfgrimmen jammerte, aber sie schlug es Lips aus der Hand. »Du bist doch an allem schuld!«, schrie sie ihn an, verlangte nach Branntwein und pochte mit der Faust gegen die Stirn. »Die Kugel! Die Kugel!«
    Die Mutter aß auf einmal nichts mehr. Lips hielt ihr einen Kanten Brot hin, aber sie schlug ihn aus. Sie war immer mehr von Sinnen und brabbelte wirres Zeug vor sich hin. Ging er betteln oder stehlen, dann band er sie mit einem Strick, den er in einer Scheune gestohlen hatte, an einem Baum oder Strauch fest. Manchmal entdeckte er im Wald Feuerstellen. Er fühlte, ob die Asche noch warm war, und spähte die Umgebung aus, ob vielleicht Bettlerhorden in der Nähe waren oder Zigeuner und anderes herrenloses Volk, dem man besser nicht begegnete, und suchte nach liegen gelassenen Eingeweiden von gewildertem Wildbret. Bis nach Kossin mussten sie es schaffen, sagte er sich immer wieder. Bis nach Kossin! Dort würden sie ihnen helfen, hatte die Mutter gesagt. Weil es so barbarisch kalt geworden war, saß Lips nachts ganz nah bei der Mutter. Ihm zog dabei ein scharfer Gestank in die Nase, denn sie ließ jetzt unter sich.
    Sie folgten lange Zeit dem Lauf der Elbe und ließen die Berge hinter sich. Der Dezember brachte bittere Kälte. Alle Kleidung, die er zusammenstehlen konnte, zog er der Mutter über. Sie wollte nicht mehr weiter und schlug nach ihm, weil sie dachte, er wäre Meister Lorenz. Lips zog sie hinter sich her, bis sie schließlich in seinen Schritt einfiel. Er traute sich jetzt auch, in den Dörfern bei den Pfarrern an die Tür zu klopfen und um ein Almosen zu betteln. Manchmal ging die Tür gleich wieder zu, nein, der Herr Pfarrer wäre für einige Tage in die Stadt gegangen, man wüsste nicht, wann er zurückkäme. Oder die Haustür blieb ganz verschlossen, obwohl Lips jemanden dahinter hörte. Einige Male hatte er Glück, und es gab einen Groschen, wenn er versprach, mit der Mutter auch gleich weiterzuziehen, denn, so wurde ihm gesagt, die Armenkasse wäre leergefegt, die Not wäre allenthalben so groß, und die Armengroschen ohnehin nur für die Ärmsten im Dorf. Die Mutter war inzwischen so schwach, dass sie nicht mehr gehen konnte. Sie sackte zusammen und blieb einfach liegen, so sehr Lips auch auf sie einsprach und an ihr herumzog.
    Schließlich war es noch ein Tagesmarsch bis nach Kossin. Die ersten Schneeflocken tanzten im eisigen Wind wild umeinander. Lips fühlte im Laufe des Tages eine große Hitze in sich aufsteigen. Er glühte fiebrig, fror und zitterte zugleich und atmete ganz flach die schneidende, eisklare Luft. Die Haare klebten nass an der Stirn, der ganze Leib schmerzte bleiern. Er musste ganz bedächtig gehen und mit den starren Beinen auf jeden Tritt achtgeben, damit er mit der Mutter, die er auf seinem Rücken trug, nicht zur Seite fiel. Sie sprach nicht mehr, wimmerte nur noch schwach. »Nur nicht fallen!«, sagte er vor sich hin und hatte Angst davor, dann einfach liegen zu bleiben, keine Kraft mehr zum Aufstehen zu finden. Langsam schleppte er sich weiter. »Nur nicht fallen!« Ganz knochig war die Mutter geworden, aber sie war ihm so schwer, als würde er die Welt auf seinen Schultern tragen, und ihr Atem brodelte rau, als hätte sie den Kodder auf der Brust. Völlig ermattet erreichte er das nächste Dorf. Beim ersten Hof brachte er kaum den Arm hoch, als er klopfte. Lips wollte fragen, ob dies Kossin wäre, aber der Rachen war ihm ganz rau und zugeschwollen, und er musste ein paarmal schlucken, bis er den Namen des Dorfes mit leiser Stimme herausbrachte.
    »Nein«, sagte der Bauer, der in der angelehnten Haustür stand. »Ihr müsst den Weg da hinten noch weiter. Was wollt ihr dort?«
    Die Tür ging etwas weiter auf. Zwei kleine Kinder sahen Lips misstrauisch an und umklammerten Schutz suchend die Beine ihres Vaters.
    Lips spürte die ausströmende Wärme auf seinem Gesicht und roch etwas angebrannte Milchsuppe. »Meine Mutter…«
    »Red doch lauter!«, sagte der Bauer und tätschelte die Köpfe der Kinder.
    »Sie hat dort als Magd gearbeitet … beim Bauern Gadegast, da…«
    Plötzlich wurde es dunkel um Lips, und er merkte noch, dass er zusammensackte und

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