Der Goldkocher
lernen, auch Latein. Ich weiß aber nicht, wie ich es ohne ein Buch anfangen soll.«
»Du? Latein! Sieh mal an! Latein, und nicht Französisch! Heute will doch die ganze Welt Französisch palavern. Die Kleider müssen französisch sein, die Speise, die Komödien, das Tanzen, auch die Lehrjungen kommen mit Franzosenhütchen angestochen. Selbst die Lustseuche ist französisch. Alles soll französisch sein, und dann will ein einfacher Knecht wie du Latein lernen! Das wird dem Herrgott gefallen. Wieso denn ausgerechnet Latein?«
»Weil die Bücher der Gelehrten in Latein geschrieben sind, und wenn sie in unserer Sprache geschrieben sind, dann sind viele lateinische Worte dazwischen.«
»Aha!« Pfarrer Porstmann sah ihn erstaunt an und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Na, eins nach dem andern! Jetzt geh. Und pass gut auf den Herrn Böttger auf.«
»Ja, Herr Pfarrer!«
***
Einige Tage darauf rief Pfarrer Porstmann Lips hoch in die Bibliothek und schenkte ihm eine zerlesene Bibel. Lips war überglücklich und lief damit hinüber in seine Stube. In jeder freien Minute studierte er darin. Begegnete er Anna, so war sie jetzt stets in Eile. Erst suchte er nach Erklärungen dafür und entschuldigte ihre Hast, aber sie wich ihm immer wieder aus, und er nahm sich vor, sie zur Rede zu stellen. Sie mied weiter seinen Blick, als hätte es nie diese Begierde zwischen ihnen gegeben, und dann lief sie auch einmal ganz nahe mit gesenktem Kopf an ihm vorbei, als hätte sie ihn nicht gesehen! Wenn er einen vollen Geldsack hätte, dachte er bitter, dann würde sie sich anders zu ihm stellen!
In den nächsten Wochen folgten am königlichen Hofe dichtgedrängt Feste, Opern und Lustbarkeiten aller Art bis zum krönenden Abschluss, dem großen Dank-, Buß- und Betfest. Der Zulauf in der Apotheke übertraf in dieser Zeit alles bisher Dagewesene. Besonders viel nachgefragt wurden Magenbitter, Brechmittel und Klistierspritzen gegen verstockte Därme.
Lips wollte Frieder oder gar dem Vater nicht zufällig begegnen und vermied es, unnötig in der Stadt herumzulaufen. Er war im Laboratorium, so oft und so lange Böttger es zuließ. Wenn dieser draußen vor der Tür mit Anna herumalberte und das Essen, das sie brachte, darüber kalt wurde, dann beugte Lips sich über Böttgers Aufzeichnungen und prägte sich alles ein. Sobald Lips alleine in seiner Kammer war, fertigte er aus dem Gedächtnis seine Abschriften an. Der Stapel in seiner Kiste wurde immer dicker.
So ging es über den Sommer. Anna grüßte inzwischen wieder, winkte ihm auch einmal beim Kirchgang zu, aber es blieb eine Kühle. Begegnete er ihr, dann zog er sie in Gedanken aus, und wenn er abends unter dem Bettstroh lag und die quälenden Bilder kommen wollten, dann imaginierte er so lange, bis er Annas Atem roch und den Geschmack von saurem Apfel auf der Zunge hatte. Und dann sagte er sich immer wieder, dass ihm die Bilder von ihr auch genügten.
Pfarrer Porstmann nahm Lips einige Male zur Seite und fragte nach den Versuchen, aber Lips konnte immer nur artig sagen, dass es vorangehe. Ja, Böttger würde mit Fleiß und ohne Unterlass laborieren.
»Dem Böttger fehlt ein wirkliches christliches Gemüt«, sagte Pfarrer Porstmann einmal. »Und wie ist es bei dir? Betest du den Herrn an?«
»Ja«, sagte Lips. »Im Gottesdienst.«
»Das reicht nicht. Du solltest auch in deiner Stube zu ihm sprechen. Vor dem Schlaf, vor jedem Bissen Brot. Und bete nicht nur mit den Lippen. Mit ganzem Herzen musst du dem Herrn leben.«
»Ja, Herr Pfarrer, ich weiß. Aber ist es denn so, dass jeder wirkliche Christ auch leiden muss, wie es der Apostel Paulus an Timotheus geschrieben hat? Es sagt, nur die Verführer und Schwindler bringen es weit auf der Erde…«
»Ja, ja!«, unterbrach Pfarrer Porstmann, das Kinn in die Hand gestützt. »Aber auf dem Weg ins Verderben! Am Ende, sagt Timotheus, stehen alle Schwindler selbst als betrogene Betrüger da. Nein, ohne wirkliches Leiden wird der Mensch nicht zum Christen! Die Briefe des Apostels Paulus an Timotheus hast du also gelesen?«
»Ja, Paulus schreibt auch, dass man in der Heiligen Schrift den Willen Gottes in allen Dingen ergründen kann, auch das Wesen aller Dinge. Vielleicht meint Paulus damit auch das Wesen aller chymischen Materien?«
»Sicher auch das, mein Sohn. Ein christlicher Adept ist dem Wesen der Dinge näher als sonst jemand. Wahrscheinlich kann auch nur ein wahrer Christ das Geheimnis des Steins der Weisen ergründen. Nur die
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