Der Goldkocher
wahre Erkenntnis Gottes bringt die Erkenntnis der rechten Ausgangsmaterie. Aber bei Böttger … nun ja. Geh jetzt, mein Sohn, und hilf ihm beim großen Werk. Und Lips, du solltest nicht hinten in der Bibel mit dem Lesen anfangen, sondern vorne im Alten Testament.«
»Das hab ich doch, Herr Pfarrer.« Lips sah noch den verwunderten Blick von Pfarrer Porstmann.
***
Böttger erbettelte eine letzte Frist. Darüber ging es auf den Herbst zu. Böttger erklärte, dass er etwas gefunden habe, machte einige Andeutungen und bekam eine allerletzte Frist von zwei Wochen. Er war in ständiger Hektik und machte manchmal mehrere Versuche gleichzeitig. Wie Lips aus Vergleichen mit seinen Aufzeichnungen ablesen konnte, nahm Böttger wieder eine alte Fährte auf. »Ich werd's euch zeigen!«, rief er manchmal und warf einen Tiegel nach Lips.
Dann stand Lips an der Tür zum Laboratorium und wollte gerade anklopfen, da hörte er Böttgers aufgeputschte Stimme. »Heureka! Das ist es!« Mehr hörte er nicht. Lips ging noch einmal auf Zehenspitzen die Treppe hoch, ließ oben die Tür zukrachen und ging laut pfeifend hinunter. Als er sich dann im Laboratorium umblickte, konnte er nichts Auffälliges bemerken.
Inzwischen verstrich die letzte Frist. Eines Nachmittags kamen der Apotheker und Pfarrer Porstmann hinunter ins Laboratorium.
»Die Versuche haben ein Vermögen gekostet!« Der Apotheker nahm einen Tiegel und sah hinein. »Aber bisher war alles nur nutzloser Schamott! Oder hast du irgendwas Nützliches gefunden?«
»Bitte, Herr Apotheker!«, flehte Böttger. »Noch eine Frist! Nur einen Monat brauch ich! Höchstens zwei Monate!«
»Nein, Schluss jetzt!«, sagte der Apotheker hart. »Das Herumsudeln hat ein Ende!«
Böttger stand demütig gebeugt. Es hätte nicht viel gefehlt, dass er vor dem Apotheker auf die Knie fiel. »Herr Apotheker, bitte! Gott wird…« Er faltete die Hände.
»Lass das, Böttger!«, unterbrach Pfarrer Porstmann barsch. »Du solltest nicht den Namen des Herrn für deine Sudelei missbrauchen!« Der Pfarrer drehte sich zur Tür. »Komm, lieber Schwiegervater!«
»Herr Apotheker!«, rief Böttger. »Warte Er noch. Nur noch eine Woche! Mehr brauch ich nicht!«
»Und dann?«, fragte der Apotheker in höhnischem Ton.
»Dann mache ich Gold!«
Der Apotheker lachte etwas verunsichert auf.
»Ja!«, beharrte Böttger. »Ich hab den ersten Schritt gefunden!«
»Wie?«, sprachen der Apotheker und Pfarrer Porstmann wie aus einem Mund.
»Ja, die erste Stufe zur alchemisti…« Böttger schien sich zu besinnen. »Ich meine in den chymischen Himmel.«
»Du willst uns weiter zum Narren halten!« Der Pfarrer sah ihn zweifelnd an. »Böttger, ich warne dich!«
»Nein, Herr Pfarrer! Es stimmt! Herr Apotheker, bitte! Ich wollte es nicht sagen, bis ich wirklich sicher bin. Nur eine Woche! Dann mache ich eine Probe. Ich brauche aber unbedingt Grauspießglanz aus Ungarn. Es ist das reinste Erz! Sonst geht's nicht.«
***
Böttger bekam als allerletzte Frist vier Tage. Die Probe war auf den 1. Oktober festgelegt. Die Vorbereitungen waren umfangreich. Lips beobachtete alles ganz genau und versuchte zu erahnen, worauf die Probe hinauslaufen sollte: ob auf eine Transmutatio , bei der mit einer geringen Menge des Steins der Weisen eine große Menge Gold hergestellt wurde, oder eine Transplantatio, bei der die Menge des eingesetzten Silbers mit der Menge des Goldes gleich war. Böttgers Vorbereitungen ergaben für Lips keinen eindeutigen Sinn. Er schien – warum auch immer – verschiedene Fährten zu legen.
Einen Tag vor der Probe klopfte Lips an die Tür des Laboratoriums, aber Böttger rief durch die geschlossene Tür, dass er keine Hilfe mehr brauche, Lips solle abhauen. Er horchte noch etwas, aber drinnen war es ganz still. Aus dem Laboratorium roch es nach Quecksilberdämpfen, starkem Essig und destilliertem Urin.
Dann kam der Tag der großen Probe. Lips wollte gleich in der Früh hinüber ins Laboratorium eilen, er musste aber erst mit den anderen Knechten einen ganzen Haufen toter Ratten aus der Kammer vom dummen Heinrich holen. Der tobte, jaulte und jammerte, und sie mussten ihn zu dritt auf den Boden pressen, als die Ratten auf Schaufeln hinausgetragen wurden. Danach lief Lips hinunter ins Laboratorium. Böttger hatte aufgeräumt und den Boden gekehrt. Auf dem Tisch standen in säuberlicher Reihe verschiedene Tiegel, Flaschen und Materialien. Auch die Bücher standen ordentlich im Regal.
Böttger war in
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