Der Goldkocher
seh immer noch nichts!«, rief Anna.
»Vielleicht später noch mal«, sagte Lips, den es von den Schauerbildern wegdrängte, und er nahm ihre Hand. »Wir versuchen's in der Judenstraße!«
»Du bist ja bärenstark! Sieht man dir gar nicht an!«
Erst am späten Nachmittag war der feierliche Einzug ins Schloss beendet. Die Menschen drängten nun zu den Buden, an denen es umsonst zu trinken gab. Die Stadt war im Taumel. Vor dem Palast eines Grafen war ein Brunnen errichtet, der eine Fontäne von reinem Wein ausstieß. Auch vor den Häusern von einigen Franzosen waren offene Tafeln mit Weinausschank, wo es ohne jeden Unterschied der Person zu trinken gab. Die Menschen soffen sich toll und voll. Sie grölten »Vivat Friedrich!«, »Vivat!«, »Wiwa!«, »Wie? Watt?« und gingen mit ihren Krügen aufeinander los, wenn jemand die Reihe vor dem Ausschank nicht einhalten wollte.
Gegen Abend wurde die Königsstraße von den Soldaten freigegeben, und sie konnten sich näher an das Schloss herankämpfen, Lips hatte eine Flasche vom Franzwein ergattert. Anna drehte sich um sich selbst, trank immer wieder aus der Flasche und forderte Lips auf, sie in ihrem Kleid zu bewundern. »Wie gefällt es dir?«
»Gut!«, sagte Lips, und er hätte ihr viel mehr sagen wollen.
»Nur gut? Schön wie eine Prinzessin bin ich, musst du sagen.« Anna tat etwas beleidigt. Dann sprach sie ganz leise. »Die Zornin braucht so was nicht mehr. Die betet nur noch. Sie streut in ihrer Kammer Reiskörner aus! Die rutscht auf den Knien draufrum, die sind schon ganz blutig. Das musst du mal hören, wie die dabei jault!« Anna wurde auf einmal ganz ernst und flüsterte ihm ins Ohr. »Ich glaub, die hat den Satan im Leib! Ihre Seich, die stinkt wie vom bösen Wesen.« Anna streckte den Arm aus, reckte den Kopf in die andere Richtung und hielt sich mit der anderen Hand die Nase zu. »So trag ich den Nachteimer runter!«
Lips nippte vom Wein und spürte sich immer beschwingter und leichter. Als sie die Flasche ausgetrunken hatten, hängte Anna sich bei ihm ein.
»Damit wir uns nicht verlieren!« Anna lachte ihn an. »Was macht ihr da eigentlich im Keller?«
»Eine Arznei.«
»Was denn für eine Arznei?«
»Ich darf nicht darüber sprechen.«
»So?«, sagte Anna schnippisch. »Aber ein bisschen…«
»Nein, Anna, wirklich nicht!«
»Du bist ja so geheim wie der Herr Kunkel von Löwenstern!«
»Der dir immer die roten Scherben schenkt?«, fragte Lips ernüchtert.
»Ja, das vergisst er nie. Der Herr Kunkel ist auch wirklich sehr nett. Neulich hat er mir sogar eine Pfauenfeder mitgebracht! Der weiß einer Frau ein Kompliment zu machen. Jetzt guck nicht so beleidigt, komm weiter!«
Anna wollte unbedingt einmal durch eine richtige Ehrenpforte gehen, und so zwängten sie sich weiter vor. Einmal schwankte Anna in dem Gedränge zu Lips hinüber, und er spürte den sanften Druck ihrer Brüste. Sie lachte ihn herausfordernd an, als gäbe es keinen Böttger, und Lips vergaß die Anspielung auf Kunkel. Plötzlich gab sie ihm in ihrem Übermut einen Bruderkuss auf die Wange. »Der Herr Lips kratzt ja schon richtig!«
Es wurde dunkel. Die Straßen wurden mit Laternen und Ölbecken erleuchtet. Kerzen standen in den Fenstern der Häuser, die zusätzlich durch unzählige Lichter und Lampen von oben bis unten erhellt wurden. Die laue Luft war von Leichtblütigkeit geschwängert. Die Menschen tanzten um Freudenfeuer, und allenthalben schrillte übermütiges Weiberkreischen auf. Die Menschen steckten sich gegenseitig in ihrer Enthemmtheit an; die Männer grapschten nach den Weibern, und die Ausgelassenheit schaukelte sich weiter hoch, bis alle ganz außer Rand und Band waren. Es gab kein Halten mehr.
Sie schoben sich weiter zum Schloss, das mit Abertausenden von Lampen illuminiert war. Anna ging im Gedränge voraus, und Lips folgte ganz dicht hinter ihr, damit sie vom Menschenstrom nicht auseindergetrieben wurden. Plötzlich stand ein Bursche mit einer geschnitzten Augenmaske vor Anna. Er hechelte geil mit der Zunge, so wie Fetzer, der in der Sommerhitze lauernd auf den Pflastersteinen vor seiner Hütte lag. Lips wollte sich schon vor Anna stellen, da lachte sie schallend auf und hob im Scherz die Hand, schon war der Maskierte in der Menge verschwunden. Lips fasste sie an der Schulter und lenkte sie dahin, wo es am besten weiterging.
Es stockte dann. Anna sah in den Himmel und lehnte wie zufällig ihren Kopf zurück, den sie dann an seiner Schulter ruhen ließ.
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