Der Goldschmied
verlassen und bereits hier an Land zu gehen. Er zog sich aus bis auf sein Leibtuch. Seine Kleider wie auch sein Bündel verschnürte er zu einem kleinen Paket, den Bogen steckte er wie die Gaffel eines Latinersegels dazwischen. So ließ er sich ins Wasser gleiten, bis er den sandigen Grund unter seinen Füßen verspürte. Der Kapitän selbst reichte ihm sein Bündel, wünschte ihm Glück auf allen Wegen und ließ das Schiff wenden.
Gwyn watete ans Ufer. Das eiskalte Wasser ließ ihm bald die Glieder taub werden, aber er gelangte sicher ans Ufer. Dort war er erst einmal eine Weile beschäftigt, sich wieder aufzuwärmen. Er vollführte einen wilden Tanz auf dem hellen Sand und hoffte dabei nur, dass ihn niemand beobachtete, denn der Anblick war doch reichlich grotesk. Einigermaßen aufgewärmt, schlug er die Richtung nach Boulogne ein. Das Wetter war mild, und es regnete nur wenig. Teils zu Fuß, manchmal auf einem Handelswagen aufsitzend, reiste Gwyn durch das Herzogtum von Lothringen bis an den Rhein nach Speyer. Zwei Tage hielt es ihn in der prächtigen Umgebung des Domes, dann nahmen ihn Handelsschiffer flussaufwärts mit. In einer Gegend, welche man Schwabenalpe nannte, verließ er den Fluss und schloss sich Pilgergruppen an, die nach Ulm wollten. Gwyn gefiel es in den einzelnen Gauen der Deutschen recht gut. Die Menschen waren zufrieden, sichtlich genährt und freundlich. Große Orte gab es auf seinem nun schon Wochen dauernden Weg keine. Die meisten Ansiedlungen waren winzige Marktflecken, kaum größer als zwei Dutzend Häuser. Fast überall lebten Bauern, die mühsam große Waldflächen rodeten, um so neues Ackerland zu gewinnen. An Gelegenheiten, zu essen und zu trinken, mangelte es dagegen nicht. Er stellte fest, dass die Stämme der Franken und der Schwaben allesamt gerne aßen. Selbst im kleinsten Weiler genoss er die schlichten, aber üppigen Mahlzeiten, die ihm nicht teuer erschienen. Freie wie Unfreie lebten sehr einfach. Trotzdem waren die Menschen satt.
***
Seit dem Sonnenaufgang war Gwyn wieder unterwegs. Er hoffte, noch vor dem Einbruch der Dämmerung sein Ziel, Augsburg am Lechfluss, zu erreichen. Die freie Reichsstadt galt als reich. Eine Handelsstadt, in der Kaufleute und eine feste Zunft der Handwerker Macht und Einfluss besaßen.
Der erste Mensch, dem er an diesem Morgen begegnete, war ein Mann, der stinkenden Mist auf einem Karren fuhr. Gwyn hob zum Gruß die Hand. Der Mann, wohl ein Bauer, war schon etwas älter. Misstrauisch hielt er seinen Karren an. Als Gwyn näher trat, setzte sich sofort ein Schwarm Fliegen auf seinen Rock.
»Ich grüße Euch, Landmann. Ist’s noch weit bis zur Stadt?«
Der Mann hielt den Ochsen an einem Ohr fest und betrachtete Gwyn noch immer misstrauisch. Dann schneuzte er sich geräuschvoll in den langen Ärmel seines Rockes.
»Weiß nicht!«
»Bin schon recht müde …«, meinte Gwyn.
»Nun, dann dauert’s bis zum Mittag, bis Ihr die Mauern seht.«
Cornelius van Brunschwigg hatte Gwyn die Sprache der Deutschen gut gelehrt. Zwar sprach der Goldschmied manchmal noch etwas schwerfällig, und sein Akzent war klar zu hören, aber er konnte sich gut verständigen, und je öfter er in den verschiedenen Gegenden der Deutschen sprach, umso leichter fiel ihm mit der Zeit deren Sprache. Dagegen verstand er die gesprochenen Worte fast immer. Der Mann sprach in der Mundart der Schwaben, und Gwyn musste bei jedem Wort genau hinhören, um auch alles zu verstehen. Cornelius hatte ihm während ihrer gemeinsamen Sprachübungen von der Vielzahl der deutschen Dialekte im Stauferreich erzählt. Gwyn bedankte sich mit einem höflichen Gruß und folgte der Straße weiter.
Es war, wie der Mann gesagt hatte. Als Gwyn einen der sanften Hügel hinaufstieg, sah er die Stadt in einer weiten Ebene vor sich liegen. Aus einer Vielzahl von Kaminen zogen lange Rauchsäulen, und der Geruch nach Torfbrand und Wasser lag in der Luft.
Es blieb ihm genug Zeit, um zum Fluss hinunterzugehen. Hier reinigte er seine staubige Kleidung und wusch sich seine Hände und das Gesicht. Sauber und erfrischt wollte er die Stadt betreten.
Augsburg war wahrhaftig ganz anders als alle Städte, die er bisher gesehen hatte: die Gassen eng, an manchen Stellen sehr schmutzig und überall voller Menschen. Dennoch gab es eine Fülle von Läden und Ständen, die vielfältige und raffinierte Waren feilboten. Er hatte viel davon gehört, aber nun sah er zum ersten Mal alles selbst: die große Auswahl an bunt
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