Der Goldschmied
still und oft fanatisch arbeitende Gwyn diese Reise machte. Vielleicht würden seine manchmal schwermütigen Gedanken sich durch so neue Eindrücke zerstreuen.
Gwyn Carlisle brach in Begleitung von Jochen, dem zweiten Gesellen des Fabers Lambert, am 26. Mai des Jahres 1123 auf nach Landshut, um einen Handelsstand in der freien Reichsstadt zu besetzen. Beide Faber hatten Schmuck und Goldarbeiten, Edelsteine und ungefasste Perlen für mehr als 1000 deutsche Reichstaler in ihrem Gepäck, das sich auf zwei Maultiere verteilte.
Gwyn war in seinem 23. Lebensjahr. Wie sollte er auch ahnen, welch neue Wendung diese Reise seinem Leben geben würde? Hätte er von den kommenden Ereignissen auch nur das Geringste geahnt, hätte er sich sicherlich nicht auf den Weg gemacht.
Die Reise dauerte fast eine Woche. Aber sie verlief ungewöhnlich ruhig und ohne Störung. Nicht einmal gerieten sie in die Gefahr eines versuchten Raubes oder wurden mit hohen Wegsteuern an der Weiterreise gehindert. Sie übernachteten nur in gesicherten Orten oder in befestigten Wirtshäusern. Ihre wertvolle Fracht ließen sie jedoch keinen Moment unbewacht. Sicherlich wussten sämtliche Spitzbuben zwischen Augsburg und dem Schneegebirge von dem großen Stechen. Wie der Honig den Bären, genauso lockte ein Turnier Taschendiebe, Falschspieler und Betrüger an.
Nachdem sich beide Gesellen beim Marktvorsteher vorgestellt und in das Standverzeichnis eingetragen hatten, erhielten sie die Erlaubnis, ihre Waren bis zum Abbruch des Stechens auf dem Feldanger anzubieten. Einen breiten Tisch aus grobem Holz bedeckten sie mit einer Stoffbahn. Darauf breiteten sie ein dunkelgrünes Samttuch. Eine Auswahl der schönsten Stücke des Hauses Lambert sollte Interessenten und mögliche Kunden zum Kauf einladen. Dazu legten sie die Goldwaage und ein Goldmaß, so wie es der Brauch war.
In den folgenden Tagen strömten viele Menschen in die Stadt. Bauern, die ihre Ernte feilhielten: Weizen und Gerste, Roggen und Hafer, noch ungeschrotet, dazu frische Eier, alle Arten von lebendem Geflügel, Käse, goldgelb geschlagene Butter und eine große Auswahl an Gemüse. Gwyn hatte die Leidenschaft der Deutschen und ihrer Küche erst genau verstanden, als er sah, welch eine Vielfalt an Nahrungsmitteln in allen Gegenden angeboten wurde.
Vom Edlen bis zum einfachen Landmann war Essen ein Genuss, dem jeder so oft wie möglich frönen wollte. Bislang waren ihm die Franken als wahre Feinschmecker erschienen. Aber was das Essen anging, waren sie und ihre deutschen Nachbarn eine Familie.
Es erschien eine große Anzahl Händler aus allen Teilen des Landes. Aber auch Kaufleute von jenseits der Alpen waren zu sehen: Toskaner und Römer, lombardische Händler aus der Republik Genua, venezianische und byzantinische Kaufleute. Aus seiner Heimat traf er auch Briten und Jütländer, Schotten und Waliser. Sie alle handelten mit herrlichen Dingen, die sie von ihren weiten Reisen mitbrachten: fremdartige, sehr teure Gewürze, edle Seidenstoffe, einfaches Leinen in vielen Farben, aber sehr dicht und fest gewebt. Waffen, Ton- und Korbwaren, junge Welpen für die Jagd auf niederes Wild, aber auch allerhand Tand, der einfach nur Freude macht und den wohl niemand wirklich braucht.
Viele dieser Händler reisten seit Jahren kreuz und quer durch ganz Europa. Einige von ihnen waren in völlig unbekannte Gegenden gereist. So verbrachten Gwyn und Jochen Abend für Abend in den Schenken und lauschten den Geschichten dieser Männer. Wie sie erzählten von den Menschen in der kastilischen Steppe, von den karstigen Landschaften des vorderen Asien und deren Bewohnern, Nomaden, die wiederum Handel trieben mit unbekannten Stämmen aus den persischen Wüsten. Gwyn war selbst schon weit gereist, aber die Geschichten dieser Händler faszinierten ihn. Die beeindruckenden Erlebnisse und Erzählungen waren alle neu und aufregend und voller Geheimnisse. Diese Geschichten lebten über Generationen hinweg weiter. Immer wieder wurden sie neu erzählt, ganz so, wie derjenige, der sie einst gehört hatte, sie in seiner Erinnerung behielt.
Gwyn und Jochen konnten in den folgenden Tagen über die Geschäftslage nicht klagen. Dem Hause Lambert eilte ein guter Ruf voraus. Das warme, frühsommerliche Wetter tat ein Übriges. Die Edlen der Stadt, wie auch Besucher von weit her, fanden es aufregend, sich Schmuck oder edlen Zierat bei den beiden Fabern zu kaufen. Das Auftragsbuch, ein dicker, in Leder gebundener Pergamentband, füllte
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