Der Goldschmied
Gebäck gab.
Jochen hatte die Bekanntschaft einer jungen, hübschen Magd gemacht. Gwyn ließ ihn ziehen und schlenderte allein zwischen den Zelten und Ständen der einzelnen Turnierstreiter umher. Da er die standesgemäße Kleidung der Faber trug, wagte es keine der Wachen, ihn aus dem Lager zu weisen. Vor einem der großen Rundzelte blieb Gwyn stehen, denn er erkannte die Farben des so schwer gestürzten Ritters. Zwei Knechte rieben dessen Pferd trocken. Ein dritter untersuchte die Fesseln des Tieres.
»Ich grüße Euch, fleißige Hände«, sagte Gwyn.
»Auch wir grüßen Euch, edler Herr«, entgegnete einer der Männer höflich. Die beiden anderen Knechte beugten nur stumm ihre Köpfe, um sich dann wieder schweigend ihrer Arbeit zu widmen. Zögernd, aber doch neugierig fragte Gwyn nach dem Befinden ihres Herrn.
»Oh, edler Herr, es ist solch ein Unglück. Der Medicus ist bei ihm …«
Der Mann sprach nicht weiter. Er wischte sich mit seiner schmutzigen Hand über das Gesicht, wandte sich ab und spie geräuschvoll auf den Boden. Gwyn hatte für einen Moment erneut das Bild vor Augen: mit welcher Wildheit der Reiter seinen Gegner angegriffen hatte. Gwyn wusste nicht, was er noch sagen könnte, und wandte sich zum Gehen. Da teilte sich der Eingang des Zeltes, und ein Mann trat heraus. Er trug einen schwarzen, bis fast zum Boden reichenden, ärmellosen Rock. Auf dem Kopf eine Kappe in derselben Farbe. Sein Alter mochte etwa 40 Jahre betragen. Bei seinem Anblick verbeugten sich die Knechte tief. Langsam, ganz in Gedanken, schritt er an den Rand des Angers, wo eine Baumreihe etwas Schatten spendete. Gwyn folgte ihm leise und blieb einige Schritte hinter ihm stehen. Er räusperte sich laut, bevor er den Mann ansprach.
»Gegrüßt seid Ihr, edler Herr, und bitte … verzeiht mir meine Neugier.«
Der Mann wandte den Kopf und betrachtete Gwyn prüfend. Dabei lauschte er, so, als hätte er nicht alle Worte genau verstanden.
»Auch ich grüße Euch, junger Herr. Ich habe Euch nichts zu verzeihen. Sagt mir, aus welchen Landen stammt Ihr? Wohl sprecht Ihr die Mundart klar. Doch höre ich fremde Laute, die an Euren Worten haften.«
Gwyn war nun ein wenig verlegen. Da hatte er doch tatsächlich geglaubt, sein englischer Akzent wäre längst verschwunden. Dieser Mann jedoch schien über ein feines Gehör zu verfügen.
»Ihr hörtet wohl, edler Herr. Mein Name ist Gwyn Carlisle aus der Stadt London in Britannien. Mein Stand ist der eines Faber aurifex. Mein Brotherr, Meister Lambert aus Augsburg, sandte mich und einen weiteren Gesellen hierher, um Handel zu treiben während des Stechens. Wir haben einen Stand in den Farben unseres Brotherrn.«
»Sprecht, was ist Euer Begehr?«, fragte der Mann höflich.
»Ich war beim Stechen, und ich sah, wie der Ritter fiel …«
Der Mann hatte bei diesen Worten den Kopf gesenkt und war ganz unter einen Baum getreten. Er zog einen der herabhängenden Zweige zu sich und strich zart über die Blätter. Dann wandte er sich wieder um. Seine Miene war ernst.
»Ich bin der Medicus des Grafen von Hagenau. Dort liegt sein einzig Sohn. Walther von Hagenau. War sein erstes Stechen. Er hoffte auf die Ritterschaft. Aber nun … Es geht ihm sehr schlecht.«
Der Arzt seufzte leise. »Wohl ist’s ein Wunder, dass noch Leben ist in seinem Leib. Aber er wird die Nacht nicht überstehen.«
»So schlimm ward der Sturz?«, fragte Gwyn.
»Ja«, antwortete der Medicus düster.
Erneut wandte er sich ab. Gwyn sah, wie nahe dies dem Manne ging. Der Goldschmied spürte immer mehr, wie etwas in ihm dagegen aufbegehrte, gegen das, was hier geschah. Es war wie ein Protest seiner Gedanken gegen diese Endgültigkeit.
»Ehrenwerter Herr Medicus, bitte …« Gwyn trat einen Schritt auf ihn zu. »Ihr seid ein Mann des Heils. Was macht Euch so sicher? Dass der Graf … dass er sterben muss?«
Er sprach die letzten Worte leise, so, als müsste er Angst haben, etwas Falsches zu sagen.
»Es ist Gottes Wille!« Der Medicus sagte es ohne Regung.
»Aber Ihr sagtet doch selbst, ein Wunder sei es, dass noch Leben ist in ihm. Sind Wunder nicht ein Zeichen Gottes?«
Erstaunt sah der Medicus Gwyn an. »Wenn Ihr nicht gesagt hättet, Ihr wäret ein Faber, würd ich glauben … Sagt, wo lerntet Ihr, mit Euren Gedanken Zwiesprache zu halten?«
»Mein Lehrmeister war ein Mensch mit großem Wissen.«
Jetzt lächelte der Medicus das erste Mal.
»Ihr seid bescheiden, Herr Carlisle, aber … die Verletzung des jungen
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