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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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fragte der Arzt verwundert.
    »Ein Einfall, Herr. Bitte sagt mir, ob Ihr den Helm lösen könnt, hätte der Nacken des Grafen fremden Halt.«
    Der Medicus verstand nicht. Er sah nur, wie dieser junge Mann auf der weißen Fläche des Schildes ein seltsames Gebilde aus Stangen, Schrauben und langen Bolzen zeichnete. Plötzlich hielt Gwyn dem Medicus das Stückchen Kohle hin.
    »Bitte, zeichnet Ihr den Hals ein.«
    Zögernd raffte der Mann seinen langen Gehrock und kniete neben Gwyn auf den Boden. Dann begann er, rasch und sehr geschickt zu zeichnen.
    »Sieht so der Hals eines Mannes aus?«, staunte Gwyn.
    »Niemand darf das Innere eines Menschen schauen. Der Leib ist der Hort der Seele. Dies zu schauen ist Sünde. Alles, was ich je sah und weiß, sah ich bei totem Tier.«
    Gwyn merkte an dem Tonfall, dass diese Erklärung nicht stimmen konnte. Dieser Arzt war ein gläubiger Anhänger der Lehre Christi. Aber er war auch Forscher. Sicher hatte er das Innere eines Menschen aus Neugier geschaut, um zu erfahren und um zu wissen. Aber das Öffnen einer Leiche war verboten, und der Verstoß galt als Ketzerei, und darauf stand immer der Tod.
    Er war mit seinem Teil der Zeichnung fertig. Zusammen betrachteten die beiden Männer das Bild.
    »Wenn der Nacken ruhig bleibt … Diese Stütze muss den gebrochenen Teil der Knochen halten«, murmelte der Medicus.
    Gwyn sah, wie stark er an seinen eigenen Gedanken zweifelte.
    »Ihr glaubt, es kann gelingen, nicht wahr?«, fragte er den Mann eifrig.
    »Nun, ein starker Kämpfer ist er wohl, der junge Graf. Wenn nur das Fieber nicht zu heiß wird …«
    »Ihr würdet es versuchen, nicht wahr?«, drängte Gwyn.
    »Mit Gottes Hilfe sind schon viele Zeichen geschehen …«
    Der Arzt murmelte die Worte leise vor sich hin. Gwyn sprang auf.
    »Werkzeug und Hilfe hab ich hier. Ein Schmied wird uns die Stangen fertigen. Müssen sein von Messing oder gar gutem Silber. Denn dies kann ich leicht bohren. Schrauben werd ich fertigen.«
    »Es ist Gott herausfordern«, entgegnete der Arzt düster.
    »Nein, Herr! Wir entreißen dem Bösen eine junge Seel. Ist dies nicht Aufgabe eines Medicus?«
    »Spottet nicht, Faber!«
    Gwyn sah ihn an. »Haltet ihn am Leben, wenigstens diese Nacht. Dann können wir ihm den Helm herabziehen, und Ihr könnt seine Wunde pflegen.« Seine Stimme klang eindringlich und beschwörend.
    »Wir versündigen uns«, bemerkte der Medicus.
    »Viel mehr versündigen wir uns, wenn wir es nicht tun.«
    Gwyn ließ den Medicus stehen, ohne eine Antwort abzuwarten, und eilte über den Platz zurück. Er wollte Jochen suchen, denn er war bereit, seine schwierigste Arbeit überhaupt zu beginnen: einen Hals aus Metall.
    Die Schwüle des vergangenen Tages ertrank in einem heftigen Gewitter. Der Regen stürzte vom Himmel, so als gäbe es für alle Zeiten keinen Grund mehr, auch nur einen Tropfen zurückzuhalten. Doch Gwyn bemerkte das Unwetter kaum. In einer Waffenschmiede waren er und Jochen seit Stunden fieberhaft bei der Arbeit. Ein Schmied hatte ihnen seine Werkstatt angeboten. Selbst war er nicht dabei, durfte er doch keine Arbeiten übernehmen, die mit seinem Handwerk nichts gemein hatten. Dies verbot ihm das Gesetz seiner Zunft.
    Gwyn konzentrierte sich. Der Schmied hatte ihm drei mittellange Stäbe aus rundem Messing überlassen. Gwyn sägte sie auf das nötige Maß von einer halben Elle ab und wies Jochen an, die vorgesehenen Bohrungen anzubringen. In diese setzte er kurze Rundstäbe ein. Die Gewinde drehten sie mit einem feinen Eisen Stück für Stück aus dem vollen Metall. Jochen löste Gwyn jede volle Stunde ab. Der streckte sich dann auf einer Decke am Boden nieder und schlief ein. Als die Nachtwache der Stadt die dritte Stunde nach Mitternacht ausrief, weckte ihn Jochen. Gwyn war augenblicklich auf den Beinen und besah sich jedes der einzelnen Gewinde genau. Sie mussten beim ersten Mal sauber einzudrehen sein. Jetzt würde er die weitere Arbeit übernehmen. Jochen, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, legte sich jetzt am Boden nieder und schlief augenblicklich ein. Gwyn verbrachte noch zwei Stunden damit, die Konstruktion zu montieren, alle Bolzen und Verstellungen noch einmal mit Fett zu schmieren und die Auflagen herzustellen, die später das kranke Gewebe stützen sollten. Erst, als die Sonne am frühen Morgen über dem Isartal aufstieg, weckte Gwyn seinen Gefährten. Sie aßen rasch jeder ein Stück Brot und tranken einen Becher frisches Wasser. Zur Probe legte

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