Der Goldschmied
Reliquienschreine, Zeichnungen für Türen, welche das Allerheiligste der Christen bewahrten, Ornamente, mit dem Griffel gezeichnet und brauner Sepia ausgemalt. Gwyn fiel ihm in den Arm.
»Aber Meister, was tut Ihr da?«, rief er.
Fallen schüttelte den Arm des Jungen ab, so als kenne er ihn nicht. »Lass, Söhnchen, lass gut sein. Nichts soll bleiben. Nichts, was er benutzen könnte gegen mich, kein Hauch, kein Strich, nichts von alledem, was unsre Kunst. Nichts … nichts … gar nichts.«
Die letzten Worte murmelte Fallen. Gwyn bemerkte die große Furcht, die den alten Mann quälte. Was fürchtete er an jener geheimnisvollen Person?
»Meister, bitte sprecht! Wollt Ihr mir nicht sagen, was Euch so verzagt?«
Fallen hörte nicht auf, weiter Pergamente, ganze Bücher und Schriftrollen ins Feuer zu werfen. Mit einem Mal hielt er inne, drehte sich zu Gwyn und starrte seinen Lehrling eine Weile an. Sein ganzer Körper, sein Gesicht, alles war in Aufruhr. Schwer atmend ließ er sich auf einen Schemel fallen.
»Meister, was macht Euch so gram beim Klang des Namens dieses Mönches?«, fragte Gwyn erneut.
Fallen lachte ein böses, unheilvolles Lachen, worüber der Junge erschrak.
»Du willst also wissen? Wissen, wer Fresenius van Straaten ist? Das, Söhnchen, ist er!« Er schrie die Worte laut und hieb auf den Rest, was einst sein Bein war.
»Und das ist auch Fresenius!«, schrie er erneut. Mit ein paar hastigen Bewegungen riss er die Leinenbinden von seinem Fuß. Der Anblick war entsetzlich. Gwyn sah ein verklumptes, deformiertes Bein. Es musste vor langer Zeit an mehreren Stellen gebrochen gewesen sein. Es war wohl verheilt, aber schlecht. Zurück blieb ein entstellter Klumpen Fleisch.
»Oh, du gütiger Herr im Himmel«, murmelte Gwyn betroffen.
» Das ist Fresenius!«, sagte Fallen mit düsterer Stimme. »So wie meine Beine, so hat er mein Leben zerstört, alles, was mir etwas war.«
Der alte Mann begann, seinem Lehrjungen eine Geschichte zu erzählen, die mit jedem gesprochenen Wort alptraumartiger wurde. Gwyn hörte von der Anklage der Magie und Hexerei, die Fresenius noch als junger Mönch, vor vielen Jahren gegen Peter Fallen erhoben hatte. Die Stunden und Tage voller schrecklicher Foltern, in dem Versuch, den begabten Goldschmiedemeister zu einem absurden Geständnis zu bewegen. Denn Peter Fallen verstand seine Arbeit als Kunst einer besonderen Gruppe von Handwerkern: den Kreis der Gold- und Zirkelschmiede, die Wissensträger jener Zeit. Fallen hatte das Martyrium des Mönches und seiner Knechte überlebt. Fresenius konnte ihn selbst auf der Folterbank nicht brechen. Aber von da an galt Fallen als Geächteter im Kreise der Wissenden. Er bekam kaum noch Aufträge und lebte die letzten Jahre verarmt von den kläglichen Resten seines einstigen Wohlstandes.
Als Fallen mit seiner Erzählung geendet hatte, schwieg er lange. Dann war seine Stimme ruhig und beherrscht, so als sei all das Geschehene endgültig nur noch Vergangenheit.
»Gwyn Carlisle, ich habe viele Dinge für die Goldschmiede entdeckt. Vieles, was du gelernt hast, wird durch dich an weitere Generationen von Fabern vererbt werden. Breite dein Wissen aus. Versprich mir dies!«
Jetzt, bei diesen Worten spürte Gwyn auf einmal eine große Angst. Sie kroch wie ein unsichbares Wesen, aber spürbar doch, aus den dunkelsten Winkeln des alten Hauses.
Er versprach es und begann sich zu fürchten wie niemals zuvor in seinem Leben.
Fallen schickte Gwyn zu Bett. Der Junge versuchte noch aufzubleiben, aber kaum hatte er sich auf seinen Strohsack gelegt, schlief er sogleich ein. So spürte er auch das Rütteln an seiner Schulter nicht gleich.
»Wach auf, Gwyn!«
Fallen stand neben ihm. Draußen war es noch dunkel.
»Los, Gwyn. Eile dich!«
Gwyn wurde nur mühsam wach. War es schon Morgen?
»Du gehst mit Eldrige«, befahl der alte Mann.
Vom Schlaf noch immer benommen, stand der Lehrjunge auf und tastete nach seinem Beinkleid, einem Hemd und der Weste. Er klapperte mit den Zähnen, während er sich anzog. In seiner Kammer war es kalt. Als er dem Meister in die Werkstatt folgte, wartete dort Eldrige. Bevor Gwyn etwas sagen konnte, fiel der alte Veteran plötzlich vor Fallen in die Knie und küsste dessen Hand. Fallen zog den Hünen auf die Beine.
»Beschämt mich nicht, Eldrige. Ihr küsst eine sündige Hand.« Seine Stimme klang leise, spöttisch.
Mit einer behutsamen Bewegung zog er den riesigen Mann plötzlich an sich und umarmte ihn lange.
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