Der Goldschmied
Nachmittagsstunden heftig zu schneien, und das Gehen auf dem glatten Boden wurde damit schwer, ja fast unmöglich. Gwyn beschloss, seinen Besuch zu verschieben und sich gleich auf den Weg in das Zunfthaus zu machen. Es war schon fast dunkel, als er seinen Meister endlich abholen konnte. In den engen Gassen von London blies ein eisig scharfer Wind und häufte den Schnee zu bald knietiefen Verwehungen. Das Fortkommen in den nassen Beinkleidern geriet schwierig und mühsam. Fallen, mit seiner Krücke und dem zweiten wehen Bein, musste langsam und vorsichtig gehen. Gwyn trug einen Sack auf dem Rücken und leuchtete mit einer Fackel. Bald war es stockdunkel, und nur unten am Fluss leuchteten ein paar Fanglichter der Fischer. Endlich waren sie angekommen, und müde und frierend traten sie zu ihrem Haustor. Da bewegte sich plötzlich im Schatten der Hauswand etwas. Gwyn erschrak ein wenig, als eine Gestalt auf sie beide zutrat und sie begrüßte. Es war ein Mönch.
»Was führt Euch zu so später Stunde hierher?«, wollte Fallen wissen.
»Ich will Euch alles erzählen, Master Fallen, aber bitte lasst mich erst ein. Es friert mich gar sehr.«
Sie geleiteten den Mönch in den Raum, der ihnen als Werkstatt diente. Gwyn beeilte sich, ein Feuer zu entzünden, das in einem Halbrund in der Wand zu brennen begann und den Raum langsam erwärmte. Fallen setzte sich auf einen Schemel und rückte damit nah an die warmen Flammen.
»Unser ehrwürdiger Abt schickt mich zu Euch. Er ist Euch sehr verbunden.«
Der Mönch bekreuzigte sich. Gwyns Gedanken waren noch zu sehr mit der Erinnerung an die letzen Tage beschäftigt. Jede Stunde war besonders unbekümmert und fröhlich gewesen. Das erste Mal hatte er seinen Lehrherrn so ausgelassen und ständig vergnügt erlebt. Er hatte auf einmal gespürt, wie sehr er den alten Mann verehrte. Jetzt spürte er plötzlich ein leises Unbehagen, so kalt wie der ungewöhnlich heftige Schneefall dieses Winters.
Der Mönch begann, sich die kalten Hände zu reiben, während er zu erzählen begann. »Hoher Besuch weilte bis vor zwei Tagen in unseren Mauern. Der Gesandte Seiner Heiligkeit war bei uns. Die Arbeit Eures Hauses erregte seine Bewunderung.«
»Und deshalb schickte man Euch bei solchem Wetter zu mir?«, fragte Fallen eher belustigt als erstaunt.
»Nein, Master. Es ist eher, weil Ihr Euch vielleicht vorsehen müsst.« Bei diesen Worten blickte der Mönch Fallen an, bevor er fortfuhr: »Unser Abt meint, Ihr kennt den hohen Würdenträger vielleicht.«
»Wie nennt er sich?«, fragte Fallen ruhig.
»Fresenius van Straaten. So nennt er sich, Master.«
Als der Mönch den Namen aussprach, fuhr Fallen für einen Moment in die Höhe. Er stöhnte kurz auf, um sogleich schwer atmend auf seinen Platz zurückzusinken. Der Mönch und Gwyn erkannten deutlich, wie sehr ihn dieser Name erschreckt haben musste.
»Sagtet Ihr wirklich Fresenius?«, fragte der Alte den Mönch, und seine Stimme war ohne Ton.
Der Mönch nickte und wollte etwas antworten. Aber Fallen winkte ab. »Ich danke Euch für Euer Kommen. Geht jetzt, lieber Bruder. Ihr könnt unter meinem Dach nicht bleiben. Geht!«
Er wandte sich an seinen Lehrjungen. »Gwyn, nimm ein Licht und führe den Bruder zu Eldrige. Er soll ihn in seiner Kammer schlafen lassen.«
Noch einmal wandte er sich an den Mönch. »Wenn Ihr Hunger oder Durst habt, Eldrige wird Euch etwas geben. Ihr seid mein Gast, Bruder. Jedoch nicht unter diesem Dach, hier seid Ihr nicht sicher.«
»Master Fallen …«, entgegnete der Mönch.
»Geht jetzt! Beide!«, rief Fallen plötzlich, und es klang wie ein Befehl.
Gwyn merkte die Erregung des alten Mannes und wagte keinen Widerspruch. Hastig ergriff er ein Licht und führte den Mönch hinaus. Stumm kämpften sich beide Männer durch die nächtlichen Straßen zu Eldriges Schenke. Obwohl Gwyn nach diesem neuerlichen Weg völlig ausgefroren war, hielt er sich nicht lange auf. So schnell er konnte, hastete er in das Haus des Fabers zurück.
Fallen war noch wach. Nie zuvor hatte der junge Lehrling den Meister aufgebrachter gesehen. Wie er durch die Räume des Hauses humpelte, hastig Pergamente, Zeichnungen, Skizzen, Vorlagen für Kupferstiche und vieles mehr hervorkramte. Er schleppte alles in die Werkstatt und warf es nacheinander ins Feuer. Dort brannten bereits die langen ledernen Hüllen, in denen sich die vielen Entwürfe für kostbare Bucheinbände und Bibelrücken, Kerzenleuchter und für Kelche befanden.
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