Der Goldschmied
und verschlang es unter lautem Schmatzen. Als er den Bissen verschluckt hatte, erzählte er weiter.
»Wir zogen Richtung Jerusalem und überließen es den flandrischen Knechten, Antiochia zu nehmen. War ohne Erfolg, ihr Bemühn. Die Stadt war zu groß. So haben die Flandern alle Stadttore bewacht. Kein Türke konnt’ mehr entkommen. Dann kam die Pest …« Er seufzte tief und blickte für einen Moment ins Leere, so als würde er noch einmal jede Szene aus diesen Tagen in seine Erinnerung zurückrufen.
»Es war der letzte Sturm vor Jerusalem … Der Herzog trieb uns an. Wir kämpften den ganzen Tag, als die Sonne aufging bis hin zum Einbruch der Nacht. So wie die beiden Tage zuvor. Leitern schleppten wir. Die Heiden bewarfen uns mit Steinen, schütteten glutheißen Sand nach uns. Immer wieder mussten wir zurück. Aber Beowulf ließ uns erneut gegen die verfluchten Mauern rennen. Sah viele Kameraden sterben. Aber wir wollten und wir mussten hinein. Hinein in diese verfluchte, unselige Stadt. Wollten nicht warten, wie es in Antiochia geschah. Dort wütete die Pest …« Die letzten Worte spuckte er fast aus, grimmig, bei dem Gedanken an die schrecklichen Erlebnisse jener Zeit.
»Endlich steht die große Leiter. Wir halten sie. Die Knechte aus Toulouse als Erste hinauf. Ich gehe als einer der Letzten. Waren hoch, verflucht hoch die Mauern. Mich erinnert, welch Hitze war an diesem Tag. Mein Helm so heiß, dass ich ihn mit bloßer Hand nicht fassen konntʼ, ohne mich zu brennen, als wär er vorher lang eingetaucht in Kohlenglut. Bin fast die Mauer oben, da werfen die Türken die Leiter um. Kann mich nicht halten. Wir fallen runter, alle, … alle! Wie reife Äpfel von einem Baum. Dann werfen diese Hunde Sand, den sie vorher rot geglüht, dass er so heiß ward wie aus der Hölle! Steinbrocken folgen hinterdrein, so dicht wie ein Regenguss. Ein Stein trifft meinen Arm und bricht ihn mir. Ich schrei und fluch mir fast die Seel’ aus dem Leib. Will nur fort. Da regnet es weiter Stein und Dreck. Komm nicht rasch genug auf meine Füße. Ein Brocken trifft mein Bein kurz vor dem Fuß. Genau dort ward er gebrochen, viele Mal. Ich denk, ei, jetzt werd ich toll vor Schmerz, und den Verstand verlier ich noch vor meinem Leben. Dann wurd’s dunkel um mich her.«
Eldrige atmete nach dieser Erzählung schwer. Gwyn spürte, wie dem alten Krieger die Erinnerung jener Tage noch immer naheging. Der Stadtrufer von London nannte einst 800 Gefallene allein bei diesem Angriff.
»Als ich erwacht, ist Morgen. Es stinkt, als läge ich in meiner eignen Scheiße, und überall sind Rabenvögel. In Arm und Bein spürt’ ich schlimmen Schmerz. Hatte Durst gar sehr, und ich rief nach Jesu Christo, unseren Herrn. Bat ihn, dass er mich schnell sterben ließe. Da kam sie …«
»Amah?«, fragte Gwyn.
»Jaaa, Amah! Diese Vettel. Sie war damals schon solch eine Schönheit.« Eldrige lachte dröhnend über diesen Scherz.
»Sie plünderte die toten Gefährten ringsum. Erst ward sie gar nicht so froh, mich noch am Leben zu sehn. Die Spange, die du jetzt hast, sollt’ der Handel sein. Wenn sie mir zu trinken brächte, sei dies ihr Lohn. Da lief sie weg.« Er seufzte und leckte sich die Lippen.
»Ja, Söhnchen. Sie kam wirklich zurück. In einem Helm bracht’ sie mir Wasser. Glaub mir, nie mehr trank ich solch herrlich Nass. Wie versprochen, gab ich ihr die Nadel. Da wich sie mir nicht mehr von der Seite. Schleppt’ mich ins Lager. Ich weiß nicht, wie. War nicht bei mir all die Zeit. Hatte hohes Fieber. Ein Mönch hat mich geflickt wie ein altes Wams. Der Arm blieb steif, und mein Bein lahmt seither. Aber ich hab Britannien wiedergesehen. Viele hatten kein solches Glück.« Wiederum lachte er rauh.
»Amah blieb bis zum heutigen Tage bei dir«, bemerkte Gwyn leise.
»Oh ja, das tat sie«, knurrte der Veteran, und es klang ein klein wenig zärtlich.
Der Goldschmied betrachtete die Spange aufmerksam.
»Ich will sie gerne behalten. Sie wird immer so etwas wie ein Stück zu Hause sein. Wo immer ich bin.«
»Amah ist sicher sehr stolz auf dich, auch wenn sie es nicht so zeigt«, entgegnete Eldrige. Er stand auf, reckte sich ein wenig zur Decke und griff unter einen der mächtigen Balken. Dort zog er ein schmales, in Leinenbinden verschnürtes Paket hervor. Langsam wickelte der Riese es aus. Es war ein Langbogen, genauso prächtig gearbeitet wie die Waffe des verstorbenen Fallen. Er hielt sie dem jungen Gesellen hin.
»Der Bogen des
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