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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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Meisters …«, murmelte Gwyn verblüfft.
    »Ja, ich sollt ihn dir geben. Du kannst damit umgehen. Als Goldschmied darfst du solch eine Waffe führen und auch nutzen.«
    »Aber Eldrige, womit schoss er in jener Nacht?«
    »Einst ließ er zwei Bogen fertigen und bediente sich ihrer immer wechselnd. Beide Waffen waren wie Zwillinge. Einer ist verbrannt. Halte diesen in Ehr und Würde, Gwyn.«
    Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass Eldrige ihn bei seinem Namen genannt hatte.
    Am selben Abend besuchte er die Überreste von Fallens Haus. Außer ein paar verglühten Ziegeln und ein wenig Asche war nichts mehr übrig geblieben, was an den alten Goldschmiedemeister erinnerte. So bat Gwyn Bruder Humbert, für seinen Meister eine Seelenmesse zu beten.
    Am nächsten Morgen verließ der Goldschmied Gwyn Carlisle London in südlicher Richtung und wanderte auf der alten Römerstraße nach Bath.

Der Faber von Bath
    In Bordens Haus wurden solch große Mengen Gold und Silber verarbeitet, dass ein ansehnlicher Teil davon ständig auf Vorrat in einem Keller unterhalb des Hauses verwahrt blieb. Zwei Schreiber führten Buch über die Perlen, Emaillunzen und Messingplatten, die Hornscheiben und Korallenstücke.
    Drei große Schmelzöfen unterhielten ihr Feuer Tag und Nacht. Nur an den ganz hohen Kirchenfeiertagen ließ man die Glut ausgehen. Der Bischof von Essex selbst hatte dies in einem Freibrief verfügt. Kein anderer Faber im südlichen England genoss derlei Privileg.
    Sie hatte weiße kleine Zähne und straffe Brüste, welche ihr Gewand ein wenig hoben, als wenn es zwei zierliche Walnüsse wären.
    Aus der Liebesgeschichte Aucasin und Nicolette
    11. Jahrhundert
    Und ihre Brust war glänzend weiß wie auf dem Zweig gereiftes Eis.
    Guillaume de Lorris
    Wenn der Aprilmond sanften Regen bringt,
    Der Märzendürre an die Wurzel dringt
    Und jeder Ader mit solch Säften schwellt,
    Dass diese Kraft erzeugt die Blumenwelt, …
    Wenn lust’ge Melodie das Vöglein macht,
    Das offene Auge schläft die ganze Nacht …
    Dann treibt das Volk die Wallfahrtslust
    Und Pilger, fortzuziehn zu fremdem Strande,
    Zu fernen Heil’gen, kund in manchem Lande.
    Canterbury Tales

Der Tag begann sehr mild. Noch lange vor dem Mittag war es angenehm warm geworden. Manchmal strich ein leichter Wind zwischen den niedrigen Sträuchern und Hecken und ließ die Blätter rauschen. Der Frühling kündigte sich an.
    Seit fast einer Woche war Gwyn unterwegs. Er war das erste Mal so weit von London fort, und er genoss seine Reise. Einfach gekleidet, deutete nichts darauf hin, dass hier ein frisch losgesprochener Goldschmied auf Wanderschaft ging. Die silberne Halskette hatte er in seinem Bündel versteckt, denn die Zeiten waren unstet und gefährlich. Einigermaßen sicher war er nur in den kleinen Ansiedlungen oder den größeren Ortschaften, die er hin und wieder durchwanderte. Hier fand er immer eine Schenke, in der er ein Nachtquartier und etwas zu essen erhielt.
    Ständig erzählte und warnte man ihn vor Wegelagerern. Meist handelte es sich dabei um geflohene Unfreie oder desertierte Kriegsknechte. In kleinen Gruppen streiften solche Gesellen durch das spärlich besiedelte Land. Was sie zum Leben benötigten, stahlen sie. Fast immer töteten sie die ausgeraubten Opfer, um jegliche Zeugen zum Schweigen zu bringen.
    Denn die Strafen in diesen Zeiten waren hart. Auf Raub und Mord, ebenso wie auf Ehebruch, Ketzerei, Kindsmord und Diebstahl von Vieh stand der Tod. So vergalt die Obrigkeit jede Verfehlung ihrer Untertanen mit dem vermeintlich gottgerechten Gedanken der Abschreckung und Buße durch drakonische Strafen: In jedem Ort, in jedem Weiler, mochte er auch noch so klein sein, sah Gwyn einen Richtplatz. Dort wurden all die Verfehlungen drastisch geahndet. Es gab den hölzernen Richtblock, den Galgen, das Rad.
    Im letzten Ort, den Namen hatte er vergessen, durch den er am gestrigen Tag gekommen war, hingen noch die Gebeine eines Mannes am Galgen. Ein Fuhrknecht erzählte ihm, dass jener bei einer Rauferei in der Dorfschenke einen Bauern mit bloßer Faust erschlagen hatte. Der Erzähler vergaß nicht, Gwyn zu erklären, dass die sterblichen Überreste so schon drei Wochen hingen, als Abschreckung für jeden, der selbst leicht in Zorn geriet.
    Gwyn hoffte, Bath in spätestens zwei Tagen zu erreichen. Seine knappe Barschaft und auch seine Verpflegung schmolzen wie Eis in der Sonne.
    Die von Büschen und Hecken eingefassten Wiesen verschwanden allmählich.

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