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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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nichts dabei, denn galt die Minne doch als feste Tradition, und Edlere als er, Gwyn Carlisle, verehrten Frauen mit wahrer, aufrichtiger Liebe.
    Aber bei ihm war es längst mehr.
    Das wusste er. Und er wusste auch, dass dies nicht statthaft war. Lady Agnes Borden war die Frau seines Meisters. Er durfte sie anbeten, ihr sogar Verse schreiben, denn singen konnte er nicht. Aber niemals durfte er sich ihr so nähern, wie sich ein Mann einer Frau im Stande der Ehe nähert. Allein der Gedanke daran war eine Sünde.
    In seinen Gedanken hatte Gwyn die Frau mehr als einmal in ihrem Gemach besucht. Jeder hier im Hause wusste, dass sie prächtige Räume bewohnte, allein. Borden beschlief seine Frau nicht oft. Die Gründe dafür waren nur Angelegenheit des Hausherrn und seiner Gemahlin, und ein aufmerksamer Beobachter hatte dies zur Kenntnis zu nehmen, und sonst nichts.
    Jetzt lächelte Gwyn zurück und nickte ihr zu.
    Dann hob er sein Hemd und wollte sich wieder anziehen. Es war keine Absicht, aber das Hemd fiel ihm zu Boden. Das war ärgerlich, war doch der Boden hier feucht von dem Brunnenwasser. Das Hemd war verschmutzt. Sich noch einmal schnell umzukleiden, dazu fehlte ihm die Zeit. Denn zum Abendessen war bereits gerufen worden. Und wenn der Meister saß, konnte niemand mehr zu Tisch. Dies war so Brauch.
    Da hörte er ein helles Lachen. Als er aufsah, hatte Lady Borden den hölzernen Laden geschlossen.
    Gwyn schimpfte leise vor sich hin. Dabei versuchte er, das Hemd wenigstens vom gröbsten Schmutz zu reinigen. Es hatte Flecken von der Nässe und dem feuchten Staub auf dem Hof. Er zog sich das Hemd rasch über und hoffte, in dem dämmrigen Saal nicht allzu schmutzig zu wirken.
    Der Tisch war voll besetzt, als der Meister mit seiner Frau an der Hand eintrat. Alles Gesinde schwieg und erhob sich. Erst wenn der Meister und seine Frau Platz genommen hatten, durften auch alle anderen ihre Plätze einnehmen. Und erst wenn der Meister den Krug oder Becher hob und daraus trank, durften die übrigen Esser zugreifen. Der Jüngste im Hause, John, ein Lehrknabe von erst 13 Jahren, rückte der Lady den Sessel zurecht. All dies war ein Zeremoniell, das sich jeden Tag wiederholte und keine Veränderung duldete.
    Lady Borden blickte freundlich in die Runde, während ihr Mann mit dem Essen begann. Gwyn streifte sie nur mit einem Blick, aber der Geselle sah, dass sie dabei ein wenig die Lippen schürzte, so als imitiere sie sein leises Schimpfen am Brunnen vorhin im Hof.
    Sie aßen schweigend, bis sich die ersten leisen Gespräche am Tisch ergaben. Dies war von Borden erlaubt. Nur Gott lästern oder gar böse Zoten reißen, dies mochte der gottesfürchtige Hausherr nicht. In der Werkstatt gestattete er es, obwohl jeder wusste, wie wenig recht es ihm war.
    Als sie mit dem Essen fertig waren, bestimmte Borden noch, was jeder Einzelne in der Werkstatt am morgigen Tag zu tun hatte. Auch dies war lange Tradition. Der Ablauf aller Geschäfte im Hause oblag der Frau. Als auch sie ihre Anweisungen gegeben hatte, hob Borden die Tafel auf, und einer nach dem anderen suchte seine Kammer auf. Als Gwyn sich erheben wollte, trat der Lehrjunge neben seinen Platz und legte ihm ein kleines Paket auf den Schoß.
    »Die Lady gab’s mir. Für Euch, Master Gwyn«, sagte der Knabe.
    Gwyn betastete das Päckchen. Die Hülle war ein weißes Leintuch, die Enden kunstvoll verknotet. Der Inhalt fühlte sich weich an.
    »Von der Lady?«, fragte Gwyn.
    Der Lehrling nickte nur.
    »Dank’ dir. Kannst gehen«, sagte Gwyn, und der Junge sprang davon.
    Gwyn sah auf. Es war niemand mehr im Raum. Nur einer der Gesellen überprüfte in der großen Werkstatt die Öfen, die über die Nachtstunden nicht ausgehen durften. Hier wollte Gwyn dieses Paket auf keinen Fall öffnen. Er konnte sich auch nicht vorstellen, was es enthielt. Er steckte sich das Paket unter sein Hemd und ging in seine Kammer. Dort setzte er sich auf seinen Strohsack. Neugierig öffnete er das Geschenk: Es war ein Hemd aus rotem Leinen, fein genäht und alle Ärmelenden versehen mit einem zierenden Saum. Und alle Nähte waren so weiß wie Schnee.
    In den nächsten zwei Tagen ergab sich keine Gelegenheit, Lady Borden für das feine Geschenk zu danken. Am dritten Tag winkte Gwyn den Lehrknaben an seinen Platz, dort wo er gerade beschäftigt war, eine feine Haarspange aus Silber und Horn zu fertigen. Der erschien sogleich, denn es gehörte zu seinen Aufgaben, allen Gesellen zur Hand zu gehen, wenn diese es

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