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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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wünschten.
    Gwyn wandte den Kopf nicht von seiner Arbeit, während er den Jungen ansprach. »John, willst dir einen ganzen Penny verdienen?«
    Der Junge nickte eifrig und strahlte dabei. Er mochte Gwyn, und für ihn kleine Botendienste zu tun, kam selten genug vor. Gwyn beugte sich ein wenig vor und sprach leiser, obwohl ihn hier in der großen Werkstatt kaum jemand hören konnte.
    »Du weißt noch von dem Geschenk der Lady?«
    »Ja, Gwyn«, antwortete der Junge.
    »Du gehst zu ihr und sagst ihr, ich würd ihr danken. Aber zu späterer Zeit will ich ihr gern selbst besondren Dank sagen. Kannst du dir meine Worte merken?«
    »Ja, gewiss«, nickte der Junge eifrig.
    »Gut, sobald es dir deine Arbeit erlaubt, gehst du hin und sagst ihr dies. Und nun merk auf: Alles, was sie tut, nachdem du zu ihr gesprochen, will ich wissen. Jedes Wort, das sie sagt, auch wenn es nicht an dich gerichtet. Du sagst es mir. Auch was ihre Augen, ihr Mund, ihr ganzes feines Gesicht tut, will ich wissen. Darum bitt ich dich.«
    Der Junge war für einen Moment ein wenig rot im Gesicht geworden. Es war nicht üblich, dass ein Geselle, noch dazu, wenn er schon so angesehen in den Augen des Meisters war, einen Lehrjungen um etwas bat.
    »Werd’s genau so tun, wie Ihr gesagt, Gwyn«, sagte John feierlich.
    Der Goldschmied lächelte und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Als er ein wenig zur Seite sah, beobachtete er, wie der Lehrjunge ein paar Schritte ging, so als denke er nach, ob er alles verstanden hätte, was er soeben gehört. Mit einem Mal rannte er davon, quer durch die große Werkstatt zum rückwärtigen Teil, dort, wo durch eine kleine Türe die Wohnräume des Borden begannen. Durchquerte man den langen Gang dahinter, führte am Ende eine kleine Treppe hinauf in den ersten Stock, wo der Schlafraum der Lady lag. Als er John davoneilen sah, war er zufrieden.
    Es war eine Kunst, ein Stück Horn so zu bearbeiten, dass es nichts von seiner feinen Zeichnung verlor, die allein durch das Wachsen entstanden war. Und es war eine mindestens ebenso feine Kunst, das Stück Horn so zu schaben, dass eine Wölbung entstand, gerade groß genug, um sich dem Kopfe einer Frau oder eines jungen Mädchens anzupassen. War die Wölbung zu stark, stand der Kamm vom Haar ab, als würde er gleich verlorengehen. War die Wölbung nur schwach, fügte sich der Kamm ohne Harmonie, und er sollte doch Schmuck sein und das Haar seiner Trägerin halten, gleich, von welcher Farbe es war. Gwyn hatte die Wölbung dieser Arbeit an Kathleen, der Hausmagd, angepasst und an ihrem Kopf die Neigung gemessen. Nun war die Form perfekt, und der Goldschmied freute sich auf den weiteren Teil der Bearbeitung. Dieser Schmuck, den er für die Tochter eines wohlhabenden Kaufmannes aus Bath anfertigte, war seine erste eigene Arbeit im Hause des Borden.
    Nun polierte er die Wölbung des Kammes mit einem Stück Leinen und einer feinen Paste aus Kreide und Hirschöl. Dadurch wurde die Oberfläche glatt und glänzte seidig.
    Dort, wo keine Zähne in den Kamm eingesägt waren, genau diesen Rand würde er mit feinem Silber einfassen, das an beiden Seiten des Kammes einen Fingerbreit herumreichte und das Schmuckstück schwer und gediegen machte, es aber leicht genug sein ließ, um seiner eigentlichen Aufgabe, dem Schmuck und dem Halt des Haares, zu genügen.
    Der Lehrjunge hatte sich unbemerkt zu ihm geschlichen und begann zu sprechen.
    »Die Lady sagt …«, hub er an.
    Gwyn packte ihn fest an seinem Ärmel.
    »Still, du Narr! Ist nicht für fremde Ohren bestimmt, was man nur dir gesagt.«
    Er zog ihn näher zu sich.
    »Du warst bei ihr?«
    Der Junge nickte.
    »Du hast alles so getan, wie ich es dir gesagt?«
    »Ja, Gwyn!«
    »Dann sprich, was hat sie alles geredet?«
    Gwyn fühlte sein Herz klopfen bei dieser Frage. Er hoffte inständig, dass der Junge ihm mehr als nur ein paar Worte berichten konnte.
    »Sie sagt, dass sie nur ein Wort von dir annimmt«, sagte der Junge ernst.
    »Was noch?«
    »Die Lady meinte, du kennst den Weg, wie dies zu tun sei. Dabei hat sie gelacht, dass man alle Zähne hat gesehn, und die Lady sah sehr schön aus dabei, sehr schön.«
    Jetzt nickte Gwyn zufrieden.
    Er bezahlte den versprochenen Botenlohn an John und beschwor ihn, keiner Seele im Hause von jener Zusammenkunft zu berichten.
    ***
    Sie saßen beim Abendessen, das wie jeden Tag gemeinsam eingenommen wurde. Gwyn war bemüht, nicht einen Blick in jene Richtung der Tischseite zu lenken, an der Agnes Borden

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